Im Regen tanzen
VON TASTE OF LIFE
Melody Qins Mutter liebte den Tanz, und als sie mit Melody schwanger war, träumte sie eines Nachts von einer riesigen Bühne. Sie sah, wie ihre erwachsene Tochter dort geschmeidig tänzelte, Überschläge machte und herumwirbelte. Selbstverständlich meldete sie Melody schon in jungem Alter bei einer lokalen Tanzakademie an.
Als junger Teenager in Nordchina war Melody regelmäßig unter den Besten ihrer Klasse. Sie liebte es, in Schulclubs zu sein und oft leitete sie diese auch. Ihre Eltern und Großeltern förderten sie und freuten sich darauf, mitzuerleben, wie sie zu einer jungen Frau erblühte. Aber niemand war auf den Tag vorbereitet, an dem ihre Mutter nach Hause kam und ihr von der Chance ihres Lebens erzählte: Die Fei Tian Academy, die weltweit führende Einrichtung zur Ausbildung im klassischen chinesischen Tanz im Staat New York, nahm Anmeldeanträge an.
Qin hatte nie zuvor eine Nacht getrennt von ihren Eltern oder Großeltern verbracht. Die Ausbildung an der Fei Tian Academy würde bedeuten, in ein neues Land zu reisen und ihre Berufsausbildung unter Fremden zu beginnen. Als Quin dann angenommen wurde, traf sie die schwierige Entscheidung, zu gehen. Sie hoffte, den Traum ihrer Mutter zu erfüllen.
Frau Qin packte sorgfältig die Koffer ihrer Tochter und die Familie brachte sie zum Flughafen.
Als Qin in dem neuen Land landete, kamen die Eigenschaften zum Vorschein, die Qin zu einer der Besten im klassischen chinesischen Tanz weltweit machen. Keine Besichtigungstour. Keine Entspannung. Qin fuhr geradewegs zum Tanzstudio und tauchte dort ein.
Als Qin aber bei der Fei Tian Academy ankam, verzagte ihr Herz. Sie konnte sehen, dass ihre Fähigkeiten weit hinter dem Können von gleichaltrigen Studenten zurücklagen, die seit Jahren Weltklasse-Akademien besucht hatten. Wenn sie ihren Lehrern bei der Instruktion zusah, schien der Abstand zwischen ihr und ihnen schwindelerregend groß zu sein. Was das Ganze noch verschlimmerte: sie musste mit jeder Enttäuschung und jedem Unbehagen ohne ihre Familie fertigwerden. Sie vermisste sie sehr, und die fremde Kultur und die fremde Sprache verwirrten sie.
Für jemanden, der es gewohnt war, der Beste zu sein, war es eine Verkettung von mehreren schwierigen Umständen. Qin zog ernsthaft in Erwägung, aufzugeben. Aber in Quins Charakter gibt es auch eine sehr hartnäckige Seite und ihre Zähigkeit geht über den durchschnittlichen chinesischen Fleiß hinaus.
„Ich gehe nicht zurück“, gelobte sie sich selbst. „Ich bin hierher gekommen, um zu tanzen. Ich habe gar keine andere Wahl als gut zu tanzen.“
Vom Traum zur Wirklichkeit
Sie übte beeindruckend hart, sogar nach ehrgeizigen Maßstäben. Und nur ein Jahr später, im Jahr 2009, als Qin ein professionelles Niveau in Technik, Form und Haltung erreicht hatte, wurde sie bei Shen Yun Performing Arts, dem weltweit führenden klassischen chinesischen Tanzensemble aufgenommen und durfte mit auf Tournee zu den renommiertesten Örtlichkeiten der Welt gehen. Sie trat nicht nur mit Shen Yun auf, sondern erhielt auch noch Hauptrollen.
Der Traum ihrer Mutter war wahr geworden.
Wenn Qin und ihre Kolleginnen und Kollegen von Shen Yun über die Bühnen wirbelten und sprangen wie z.B. im New Yorker Lincoln Center, dem Kennedy Center in Washington DC und dem Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles, beschrieb das Publikum sie als „wunderschön“, „verblüffend“ und „überwältigend“. Sie führten ethnische Tänze, Volkstänze und klassische Stücke so bezaubernd auf, wie das Leben auf dem Höhepunkt der chinesischen Dynastien nur gewesen sein konnte.
„Das Publikum ist immer begeistert von der Art, wie wir Legenden und historische Personen darstellen“, sagt Qin. „Das ist die Stärke der herausragenden Ausdruckskraft dieser Kunstform. In den 5.000 Jahren der chinesischen Geschichte wurde der klassische chinesische Tanz kontinuierlich ergänzt. Unter den Händen des kommunistischen chinesischen Regimes war er kurz vor dem Aussterben, aber jetzt gehört er der Welt wieder, dank Shen Yun.“
Wasserärmel
Wenn Qin mit Shen Yun auf Tournee ist, ist der Tanz „Wasserärmel“ einer der beliebtesten Tänze. In dem Stück kommen requisitenartige, lange weiße Ärmel vor, die wie helle Schals aussehen, wenn sie geworfen werden. Sie lacht, wenn sie über die ersten Tage des Trainings mit ihnen spricht.
„Es war extrem schwierig, die Wasserärmel zu kontrollieren. Wenn du wolltest, dass sie sich nach links bewegen, bewegten sie sich nach rechts; Wenn du wolltest, dass sie sich hinauf bewegen, bewegten sie sich hinunter. Sie schwangen in einem Kreis herum und am Ende waren sie um deinen Kopf gewickelt“, sagt sie.
„Später entdeckte ich, dass ich mich auf den in unserer Tanzform eigenen Aspekt der Haltung verlassen musste, um die Wasserärmel zu kontrollieren – „Umspanne Kreise, nicht gerade Linien“, „um nach links zu gehen, muss man zuerst nach rechts gehen“, „um nach oben zu gelangen, muss man zuerst nach unten gehen“. Als wir das taten, wurden die Ärmel gehorsam, leicht und geschmeidig." Lernen, die Ärmel zu schwingen, gab den jungen Tänzern – zusammen mit Körperarbeit – die innere Kraft, die nötig war, um die subtilen und komplexen Bedeutungen der alten chinesischen Kultur auszudrücken.
Der Name der Ärmel bezieht sich auf mehr als die seidige Bewegung des Stoffes. Auf der Bühne wirft eine große Gruppe von Tänzerinnen ihre weißen Ärmel gleichzeitig nach oben, was den Effekt einer in sich zusammenfallenden Welle hat. Später legen sie sie sanft über den Arm wie frisch gewaschene Windeln.
Das Wasser wurde von den Chinesen in den alten Zeiten wegen seiner Kraft, Duldsamkeit, Einschließlichkeit und Vielfalt verehrt. Die Alten erkannten, dass sie – genau wie das Wasser – ihre innere Kraft bewahren und nach Belieben freilassen konnten. Redewendungen mit vier Schriftzeichen entstanden wie „die Schriftzeichen der gütigsten sind wie Wasser" und „das Meer weist keinen Fluss ab“. Die Chinesen in den alten Zeiten fürchteten auch das Wasser, was zu den Sprichworten führte: „Wasser kann ein Schiff zum Kentern bringen“ und „steter Tropfen höhlt den Stein“.
Im Regen tanzen
Einer der Höhepunkte von Qins Karriere war der erste Platz beim Wettbewerb für klassischen chinesischen Tanz 2012 von New Tang Dynasty Television mit dem Solo „Beauty of Autumn Rain“. Um das richtige Gefühl für das Stück zu erfassen, tanzte sie tatsächlich im Regen. Zwischen diesen Ausflügen stellte sie sich die Damen aus Südchina mit ihren hellen floralen Schirmen vor, mit ihren geschickten Gesten und ihrem klingenden Lachen. Bei ihrem Auftritt im Wettbewerb ging ein Raunen durch das Publikum.
Weil sie ein Wildfang war, war es eines der härtesten Dinge für sie zu lernen, sich damenhaft zu benehmen. Die „Stärke ist im Inneren verborgen“, erklärt sie die traditionelle chinesische Weiblichkeit. „Viele der Frauentänze dieser Kunstform verlangen eine Straffheit im Kern und ein Gefühl der Weichheit im Äußeren.“
Heute sieht Qin Schattierungen von sich selbst bei den neuen Mädchen an der Fei Tian Academy und bei Shen Yun und sie ist wie eine große Schwester zu ihnen. Die Maßstäbe für die Aufnahme sind sogar noch höher als damals bei ihrer Ankunft. Qin hofft, dass diese Mädchen ihre Fähigkeiten übertreffen werden und mit dem renommierten Ensemble auf Tournee gehen.
„Meine Tanztechniken werden sich wohl von nun an nicht viel ändern“, sagt Qin. „Aber die Verbesserung meiner Haltung, Form und die innere Kultivierung der Bedeutung eines Tanzes sind noch lange nicht zu Ende. Diese Sachen sind endlos – für uns hier ist das ein lebenslanges Arbeiten.“