Melodien aus der inneren Welt
INTERVIEW MIT DER SOPRANISTIN HAOLAN GENG AUS DEM SHEN YUN SYMPHONY ORCHESTRA
In diesem Herbst wird das Majestätische und die Magie einer alten Zivilisation in berühmten Konzertsälen Nordamerikas erneut auf die Bühne gebracht. Das Shen Yun Symphony Orchestra wird mit seiner Mischung aus traditionellen chinesischen Instrumenten und einem voll besetzten westlichen Orchester Leben in 5000 Jahre der Zivilisation einhauchen und sie zusammen mit ihrer Schönheit, ihren Legenden und Geschichten aus einer verlorenen Welt wieder aufleben lassen.
Die Tournee des Shen Yun Symphony Orchestras wird im Oktober 2015 durch 11 Städte führen und das Orchester wird in Konzerthallen wie der Carnegie Hall und dem Kennedy Center spielen. Sein neues Programm umfasst Originalkompositionen, die von Melodien aus unterschiedlichen chinesischen Dynastien inspiriert sind, eine Auswahl der bekanntesten Stücke westlicher Musik, und Soli von einigen der weltbesten chinesischen Virtuosen.
Unter ihnen ist die Shen Yun-Sopranistin Haolan Geng. Sie ist nicht länger nur ein aufgehender Stern, sie bezaubert Jahr für Jahr die Zuschauer auf der ganzen Welt. Wir setzten uns mit ihr an einem kalten Morgen in Shen Yuns Zentrum für darstellende Künste in den Hügeln von Orange County im Bundesstaat New York für ein Interview zusammen, inmitten der Vorbereitungen auf ihren vierten Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall.
Frage: Wie haben Sie Ihren Weg als Sängerin begonnen?
HG: Seit meiner frühsten Kindheit habe ich sehr gerne gesungen. Als ich Gesang im Radio hörte, wusste ich, dass ich auch singen lernen wollte. Meine Mutter hat mich in vielen Chören mitsingen lassen - von der städtischen Ebene bis zur Provinzebene. Später entschied ich mich für den Besuch einer Kunsthochschule, um eine professionelle Ausbildung zu erhalten. Als weiterführende Schule besuchte ich eine Musikhochschule und erlangte dort meinen Musikhochschulabschluss. Ein wichtiger Meilenstein für mich war die Auszeichnung mit dem Ersten Preis beim internationalen Gesangswettbewerb von New Tang Dynasty 2009 in New York. Dieser Preis hat mir geholfen, bei Shen Yun als Solistin aufgenommen zu werden.
F: Was denken Sie, macht eine große Sopranistin aus?
HG: Sie benötigen die richtige Gesangstechnik, ein gutes musikalisches Verständnis und die Kraft, ihr Publikum zu berühren. Noch wichtiger ist ein Herz voller Liebe für die Musik. Mit dem Herzen singen und einen weiten Bogen um Oberflächlichkeiten machen.
Auf der Bühne strömen die Gefühle nur so aus mir heraus, sobald ich den Sinn meines Liedes spüre und den Einstieg in seine Stimmung finde. Keine der Bewegungen oder Ausdrücke für diese oder jene Liedzeile sind im Voraus geplant. Alles kommt ganz natürlich.
Um als Künstlerin ein höheres Niveau zu erreichen, spielt die Moral eine entscheidende Rolle, denke ich. Es ist eine Frage der Integrität im eigenen Leben. Wenn Sie anmaßend auf die Bühne gehen, werden Sie nicht in der Lage sein, Aufrichtigkeit auf der Bühne zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Klänge und Gefühle, die Sie ausstrahlen, rein sind, werden Ihre Lieder in der Lage sein, Ihre Zuhörerschaft wirklich zu berühren.
F: Was macht die Sänger von Shen Yun einzigartig?
HG: Wir benutzen die traditionellste Gesangsmethode – es ist die gleiche wie die, die in der Vergangenheit von der klassischen italienischen Oper benutzt wurde. Sie unterscheidet sich von dem Belcanto, den man heute hört, der von der frühesten Form abgewichen ist.
Shen Yuns Soprane trainieren mit dieser klassischen Methode, das bedeutet, wir singen und artikulieren aus einer anderen stimmlichen Position. Natürlich ist es auch härter die Texte zu meistern, weil sie auf Chinesisch sind.
Diese Art vokaler Technik ist weltweit auf dem Rückzug. Bis vor circa einhundert Jahren benutzte die italienische Oper die originale, klassische vokale Technik. Aber zusammen mit den sozialen Entwicklungen, die den Niedergang der traditionellen Kultur und der traditionellen Künste bewirkt haben, ging diese authentische Technik verloren. Die Gesangstechnik, die ich in jungen Jahren am Konservatorium in China erlernt hatte, war eine zeitgenössische Technik. Erst als ich zu Shen Yun kam, wurde mir klar, dass meine vorherige gesangliche Einstellung nicht richtig war.
Unser künstlerischer Leiter ist ein Meister dieser traditionellen Belcanto-Technik, die vorher verloren gegangen war. Er trainiert uns in dieser authentischen opernhaften Gesangsmethode, sodass wir sie zurück auf die Bühne bringen können und diese verlorene Kunst mit allen teilen können.
Wenn ich auf meinen Weg als Künstlerin zurück blicke, fühle ich mich extrem glücklich, in der Lage dazu zu sein, Teil dessen zu sein. Es motiviert mich mein bestes zu geben und diese verlorene Kunst dem Publikum zu präsentieren. Die Menschen sagen oft, wenn sie uns singen hören, höre es sich sehr anders als anderer Gesang an. Sie sagen es fühle sich anders an, aber es fühle sich auch richtig an.
F: Manche Leute sagen, Singen reflektiere die Seele wie ein Spiegel. Klingt das ihrer Meinung nach richtig?
HG: Ich denke Singen ist eine sehr direkte Art, seine innerste Welt mitzuteilen. Da ich mit Shen Yun auftrete, habe ich das ziemlich oft erlebt.
Vor einigen Jahren in China, als ich studierte und dann später, als ich gerade meine Karriere begonnen hatte, hatte ich mich vor allem darauf konzentriert, mich technisch zu verbessern und wie ich das Stück besser interpretieren und ausdrücken könnte, um die Menschen zu berühren.
Aber als ich mich Shen Yun angeschloss, war das ein großer Wendepunkt für mich als Künstlerin. Hier bei Shen Yun praktizieren wir eine spirituelle Meditationsdisziplin, genannt Falun Dafa, die ebenfalls uralte Wurzeln hat. Wir nennen es einen Prozess der „Selbst-Kultivierung“. Und daher meditiere ich hier und arbeite auf der Ebene des moralischen Charakters daran, mich selbst zu verbessern – es ist Teil dessen, was wir täglich tun. Dann fügt man dem das Touren und über hundert Shows das ganze Jahr über, Jahr für Jahr hinzu. Für mich ist das eine unbezahlbare Erfahrung und etwas, das ich als extrem befriedigend empfinde.
Und in diesem Prozess führt mich das auch dazu, tiefer über Kunst zu reflektieren und die Art Wahrheit, die ich durch Kunst zu finden versuche. Was mir dabei klar geworden ist, wenn ich mit stillem Geist und einem ruhigen Herzen singe, dann berührt das die Zuhörer am meisten, manchmal etwas unerwartet. Ich versuche nicht länger absichtlich das Publikum emotional zu berühren, auf die eine oder andere Art. Ohne das zu erstreben, geschehen diese Dinge auf natürliche Weise und das auf eine kraftvollere Art. Ich finde, dass dies für mich der größte Unterschied ist und der ist durch Selbstkultivierung gekommen.
F: Sind Sie diesem Konzept der Kultivierung begegnet, als Sie zu Shen Yun gekommen sind?
HG: Eigentlich nicht. Das war vor einiger Zeit in China, als ich ein kleines Mädchen war. Damals praktizierten mein Großvater und meine Großmutter Falun Gong (anderer Name für Falun Dafa). Besonders meine Großmutter hatte alle möglichen gesundheitlichen Probleme und innerhalb von ein paar Monaten des Übens von Falun Gong änderte sich ihre Gesundheit um 180 Grad. Sie war dynamisch und brauchte nichts der Unmengen an Medikamenten mehr, die sie eingenommen hatte. Das war in den frühen Neunzigern und Falun Dafa wurde immer populärer in China – man konnte eine Menge Menschen sehen, die es frühmorgens in den Parks übten.
1999 dann verbot die Kommunistische Partei Falun Gong und verfolgte Menschen, die es praktizierten – es war sehr schwer für mich zu verstehen, wieso die Regierung so etwas tat.
Und so war der Same der Kultivierung schon in mich eingepflanzt worden, als ich noch ganz klein war und ich versuchte den Prinzipien „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Toleranz“ zu folgen und ein guter Mensch zu sein. Ich hatte mein Leben weitergelebt, habe graduiert und angefangen zu arbeiten … aber Jahre später, als ich ins Ausland gezogen war und mich in einer freien Umgebung wiederfand – ohne Angst vor der Verfolgung, die überall um uns herum war – da war es leicht für mich, wieder zu dem, was ich wirklich wollte, zurückzufinden.
Ich denke, wenn es um Fragen wie den Sinn des Lebens geht, hat jeder eine andere Sichtweise. Für manche Menschen geht es vielleicht darum, Spaß zu haben, das Leben voll auszukosten, oder ein Vermächtnis zu hinterlassen. Ich für meinen Teil glaube - und ich denke viele Glaubenssysteme haben das in der Vergangenheit auch so betrachtet, ich glaube als Mensch geboren zu sein ist schon eine glückliche Begebenheit. Und eine spirituelle Anleitung und einen Kultivierungsweg zu haben, ist sogar noch seltener. Wenn man an Reinkarnation glaubt, dann ist das etwas, dem man nur einmal in vielen Tausenden von Jahren begegnet. Und so möchte ich durch Kultivierung meinen moralischen Charakter verbessern, mich bei meinen Schwächen verbessern und mich auf eine höhere und schönere Ebene emporheben. Für mich dreht sich das Leben darum, das ist es, wozu ich auf der Welt bin.
Viele der Lieder, die ich aufführe, haben Texte, die über dieses Prinzip sprechen, den Sinn des Lebens und wozu wir hier sind. Wenn ich selbst keine Kultivierende wäre, dann hätte ich keine Möglichkeit, diese Konzepte hinter einem Liedtext auszudrücken.
F: Wie manifestiert sich dieses Verhältnis zwischen Kultivierung und Singen bei Ihrem Auftritt?
HG: Nun, auf einer Ebene ist es das, was ich gerade erwähnt habe – ich habe mich früher darauf konzentriert, wie ich gut singen und das Publikum berühren konnte und habe eigentlich beim Singen an viele verschiedene Sachen gedacht. Nachdem ich angefangen hatte mich zu kultivieren und meinen Geist beim Singen zur Ruhe brachte, bemerkte ich, dass ich weniger und weniger abschweifende Gedanken hatte.
Auf einer anderen Ebene glaube ich, dass Klang, insbesondere die Stimme, eine gewisse Energie in sich trägt. Ich denke, als jemand, der sich kultiviert und versucht die Prinzipien „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Toleranz“ anzuwenden, ist die Energie, die beim Singen aus dem Herzen kommt, anders als zuvor. Sie ist gutherziger und stärker in der Lage direkt mit dem Zuhörer zu kommunizieren.
F: Leute sprechen häufig über Ihre Stimme, beschreiben sie als „kraftvoll“ und „gefühlsgeladen“. Wie haben Sie sie bekommen?
HG: Man hört die Menschen oft darüber sprechen, über eine natürliche Begabung oder ein „gottgegebenes Talent“. Eigentlich gibt es im Chinesischen einen ähnlichen Ausdruck, wir nennen eine besondere Gabe „tian fen“. Es bedeutet etwas, das der Himmel dir geschenkt hat.
F: Was geht durch Ihren Kopf während Sie singen?
HG: Wenn ich das erste Mal den Text anschaue, lege ich mich nicht darauf fest, die Worte auswendig zu lernen. Ich fange damit an, die Quintessenz des Liedes zu erfassen. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Zeilen zuerst ein paar Mal singe, kann ich beginnen, sie auf einer tieferen Ebene zu verstehen. Dann probe ich weiter, bis ich die Botschaft so gut es mir möglich ist, vermitteln kann.
Wenn ich übe und mein Herz nicht ruhig ist, kann ich nicht gut singen, komme was wolle. Wenn ich frustriert bin, finde ich, dass meine Stimme wirklich hässlich klingt. Bis ich mich beruhigt habe, kann ich keine Fortschritte erzielen.
Was Auftritte angeht, so versuche ich mich zu entspannen, bevor ich auf die Bühne gehe. Ich lasse meine Sorgen los. Lege meine Anschauungen zur Seite. Ich erinnere mich daran, wofür ich singe, meinen Sinn. Und ich kläre meine Gedanken von allem anderen. Dann, wenn ich da hoch gehe, denke ich nicht an vieles.
F: Haben Sie irgendwelche besonderen Erinnerungen an vergangene Auftritte mit Shen Yun?
HG: Es sind so viele! Manchmal, wenn das Theater hell genug ist, kann ich im Publikum sehen, wie sie Tränen wegwischen. Ich habe das viele Male beobachtet. Und jedes Mal ist es wirklich ergreifend das direkt vor mir passieren zu sehen.
F: Was denken Sie, macht das Shen Yun Symphonieorchester herausragend?
HG: Einer der größten Vorzüge des Shen Yun Symphonieorchesters ist, wie es chinesische Instrumente in ein vollständiges westliches Symphonieorchester integriert. Dies kreiert sowohl Pracht als auch ausgeprägten ethnischen Charakter. Es ist eine ideale Kombination, um den Geist des traditionellen China einzufangen. Dazu kommt noch, dass ich weiß, dass das Publikum manche chinesische Instrumente wirklich zu schätzen weiß … besonders die Erhu, die ich auch liebe.
Ein besonderer, weniger konkreter Unterschied ist, was man die spirituelle Substanz nennen könnte. Was dieses Orchester dem Publikum gegenüber ausdrückt, ist einzigartig. Ich denke die meisten Zuschauer sind in der Lage unsere Musik auf einem höheren Level zu verstehen – sie können unsere Botschaft nachempfinden.
Diese Musik handelt von Dingen wie dem Sinn des Lebens, einem Pfad zum Himmel, Wahrheit, Bewusstheit und Erleuchtung. Wir bemühen uns darüber mit reinem Herzen zu singen und aufzuführen und so - sei es für die Zuschauer oder für uns als Musiker - spricht das die innere Welt an.