Porträt: Erste Tänzerin Angelia Wang
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In der letzten Ausgabe präsentierte TOL Shen Yuns Erste Tänzerin Angelia Wang. Wang ist seit 2008 bei Shen Yun. Im Jahr 2012 gewann sie den ersten Platz im Internationalen klassischen chinesischen Tanzwettbewerb von New Tang Dynasty Television (Frauen-Kategorie). Wang wird in der kommenden Spielzeit mit der Shen Yun New York Company durch Nordamerika und Europa touren.
Aus Taste of Life: Ein Diamant funkelt heller
Manchmal verschwimmen beim Theaterbesuch die Grenzen zwischen Realität und Märchen. Umso mehr, wenn die Tänzerin einen an eine himmlische Fee aus einer Gutenachtgeschichte erinnert - mühelose königliche Anmut, flinke dynamische Überschläge und Drehungen – und am unvergesslichsten - eine Aura nicht von dieser Welt, die hier aber dringend gebraucht wird. Das war meine Erfahrung beim Betrachten von „Die Frau im Mond“ – Angelia Wang, einer der Ersten Tänzerinnen von Shen Yun Performing Arts.
„Ich betrachte mich als Chang´E“, sagt Wang über ihre fehlerfreie Darstellung einer der am meisten verehrten himmlischen Charaktere des alten China. Wenn sie heute tanzt, fließen ihre Emotionen authentisch aus ihr heraus, und „das Publikum bemerkt, dass sie ansteckend sind“, sagt sie.
Um eine Stufe zu erreichen, auf der Wang diese alte Göttin verkörpern konnte, waren viele Stürze erforderlich, sowohl wörtlich als auch bildlich. Aber zu sagen, dass Wang nicht von vorherbestimmten Gaben unterstützt wird, wäre auch nicht wahr. Eine schlanke Figur, flinke Athletik und ein angeborener Hang zur Perfektion scheinen ihr aus einem bestimmten Grund gegeben zu sein - genau das, was sie im Alter von 13 Jahren dazu veranlasste, China zu verlassen, um eine der beliebtesten klassischen chinesischen Tänzerinnen der Welt zu werden.
An der Fei Tian Academy in New York – wo viele Shen Yun-Künstler zum ersten Mal mit dem Tanzen beginnen – fand Wang schnell den Weg zum Tanzboden, auf dem sie mehr als 100 Mal täglich Techniken übte.
Ihre Hingabe zahlte sich aus. In den ersten sechs Jahren ihrer Zugehörigkeit zur Tourneetruppe von Shen Yun gewann sie drei Goldmedaillen bei internationalen Tanzwettbewerben. Obwohl jung an Jahren, ließen fast tausend Auftritte auf der ganzen Welt sie weit über ihr Alter hinaus reifen. Trotz ihres schnellen Aufstiegs auf internationale Bühnen treibt sie immer ein bescheidener Perfektionismus an. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich nicht gut genug bin. Ich bin nicht deprimiert, nur glaube ich, dass ich nicht gut genug bin.“
Von innen nach außen
Der klassische chinesische Tanz ähnelt dem Prozess des Ablösens von
Zwiebelschichten. Als Wang ihre Kunst zu perfektionieren versuchte,
erkannte sie, dass die Schichten unter der Oberfläche am wichtigsten und
am süßesten waren.
Ein wesentliches Merkmal des chinesischen klassischen Tanzes ist das Konzept der Haltung – die Idee, dass jede Geste, jede Drehung, jede Körperlichkeit und jeder Ausdruck dem Geist des Tänzers entspringt. Es ist wie ein Rad mit einem Lager in der Mitte; die Speichen – die verschiedenen Eigenschaften des klassischen chinesischen Tanzes, wie z.B. Mudra, wallende Schritte und Überschläge - schießen heraus und drehen sich um die Mitte des Rades - flüssig, inspiriert und göttlich.
Das ist ein Grund, warum
sich der klassische chinesische Tanz so anders anfühlt - denn die
Haltung lässt sich absolut nicht fälschen. Es ist die aufrichtige,
intime Reise der Seele eines Tänzers.
„Wenn die Tänzer
nicht mit dem Herz dabei sind, sondern absichtsvoll handeln, wird das
Publikum das Gefühl haben, dass sie es spielen“, sagt Wang. „Das sieht
unpassend und peinlich aus.“
Während die Beherrschung akrobatischer Überschläge und Bewegungen, die für viele unmöglich zu schaffen sind, Wang leicht fielen, war die Kultivierung ihrer Haltung ein langsamerer Prozess, der sowohl Erkenntnis als auch Übung erforderte.
„Ich hatte den Hintergrund der Rolle studiert und ihren Charakter analysiert, aber das, was ich darstellte, war immer noch zu einfach“, meint Wang über ihre Darstellung von Mu Guiying, einer vollkommen ehrenwerten Frau, vor vier Jahren.
Shen Yun-Tänzer kultivieren ihre Charakterstärke nicht nur, um ihre Haltung zu verbessern, sie tun dies auch, um die enorme Tiefe der legendären Figuren in ihren Stücken besser zu verstehen. Wang sagt, dass die subtilen körperlichen Ausdrucksformen des Mutes, der Stärke und der Aufrichtigkeit der Figur, die Mu inspirierten, ihre Heimat zu verteidigen, fehlten.
Aber niemand kann an Wangs Entschlossenheit zweifeln, und mit dem inneren Wachstum kam die Verbesserung der Darstellung. Während der letztjährigen Welttournee hatte Wang die Gelegenheit, Chang´E, die Mondgöttin, darzustellen, und sie warf ihr ganzes Herz hinein.
„Ich habe die Begleitmusik viele, viele Male gehört, um die Veränderungen in den Gefühlen der Figur zu verstehen“, so Wang. Sie nahm jede Probe auf und studierte sie mit den Choreografen, um Emotionen, Bewegungen und Musik perfekt aufeinander abzustimmen. „Ich habe mich wirklich in die Lage von Chang´E versetzt.“
Wangs Hingabe, eine stärkere Verbindung zwischen Geist und Körper herzustellen, war transformativ, sowohl für sie persönlich als auch für die Beobachter.
„Meine Darstellung war diesmal ganz anders“, sagt Wang. „Ich habe gelernt, wie ich meine Emotionen ausdrücken kann und wie ich sie auf natürliche Weise an das Publikum weitergeben kann. Wenn der Geist eine leichte Regung zeigt, verändern sich die Knochen und Muskeln subtil und übermitteln die richtige Botschaft.“
Dieses mühelose Zusammenspiel von Geist und Bewegung gab dem Tanz eine Dimension, die Wang heute mehr denn je schätzt.
„In der Vergangenheit legte ich nicht sehr viel Wert darauf, wenn ich Erste Tänzerin werden sollte oder eine andere Rolle spielte. Aber jetzt betrachte ich die Führungsrolle als eine wertvolle Chance. Von nun an versuche ich mein Bestes, um jede Rolle, jede Minute und jede Sekunde, die ich bekomme, perfekt aufzuführen.“
Von außen nach innen
In ihrem Bestreben, ihr Handwerk durch den Blick nach innen zu
kultivieren, schaut Wang auch nach außen und findet neue
Inspirationsquellen für ihre Weiterentwicklung. Die Betreuung der
nächsten Generation von Shen Yun-Tänzern ist „ein Lernprozess für mich,
der meine Erfahrung bereichert“.
Durch die Augen eines anderen zu sehen, hilft ihr, selbstloser zu werden. „Ich muss ihnen entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen helfen, um ihre Probleme zu lösen“, meint Wang. Und der Rat eines ihrer Lehrer klingt oft in ihrem Kopf nach.
„Als ich Teenager war, sagte mir ein Lehrer, dass ich, wenn ich Tanz lernen wollte, zuerst lernen müsse, ein guter Mensch zu sein und dann andere zu beeinflussen“, sagt sie. „Es ist nicht nur eine Art Druck, sondern eine treibende Kraft.“
Eine neu entdeckte Liebe zur Tradition ist auch zu einem integralen Bestandteil ihrer Tanz-Werkzeugkiste geworden, sodass sie die facettenreiche Komplexität der Figuren, die sie auf der Bühne darstellt, besser verstehen kann.
„Als ich in der Vergangenheit historische Stätten auf der ganzen Welt besuchte, habe ich sie nur durchstöbert“, meint Wang. „Jetzt lerne ich den historischen Hintergrund im Voraus kennen und beobachte alles sorgfältig, wie die Ziegeln und Fliesen und die Konstruktion der Architektur. Ich esse in Spezialitätenrestaurants, um das echte lokale Aroma zu schmecken.“
Während Wang um die Welt reist und Jahrhunderte altes authentisches chinesisches Erbe teilt, lebt sie inmitten einer schmerzhaften Ironie – Shen Yun kann nicht am Geburtsort dieser schönen Kultur auftreten. Seit der Kulturrevolution in den 60er Jahren führt das kommunistische Regime Krieg gegen die heiligen Traditionen Chinas.
Dies, zusammen mit verpassten Möglichkeiten in ihrer Jugend, hat einen Schmerz in ihrem Herzen hinterlassen. „Ich lebte in der alten Stadt Xi´an, als ich jung war“, sagt Wang. „Da historische Denkmäler in der ganzen Stadt zu finden waren, hatte ich nicht das Gefühl, dass sie etwas Besonderes sind.“ Dass sie die berühmte Terrakotta-Armee oder das Mausoleum des ersten Qin-Kaisers nicht besuchte, hat bei ihr ein „Gefühl des Bedauerns“ hinterlassen. So erlebt Wang vorerst die majestätische Kultur ihrer Heimat auf der Bühne zusammen mit dem Rest der Welt, ein Geschenk für sie ebenso wie für jene.
„Menschen von heute suchen immer nach Wegen, ihre Emotionen auszudrücken, wie Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit dem Leben“, so Wang. „Aber es ist schwer für sie, einen geeigneten Weg zu finden, weshalb sie etwas Extremes tun könnten. Infolgedessen passieren in der Gesellschaft viele seltsame und schlechte Dinge. Ich habe Glück, dass ich den Tanz gefunden habe, um mich mithilfe meines Körpers auszudrücken.“
Sie strahlt Freude und Authentizität aus, die den Worten „legendärer Charakter“ eine neue Bedeutung verleihen. Sie lächelt. „Ich hoffe, ich kann immer tanzen. Ich werde tanzen, solange ich kann.“