Porträt: Erster Tänzer Piotr Huang
Der klassische chinesische Tanz beinhaltet mehr, als man sieht. Hinter jeder Bewegung steht ein Wertesystem, das tief in Kultur und Tradition verwurzelt ist. Es wird von den Künstlern in unzähligen Stunden des Studiums und des Trainings aus der Geschichte hervorgeholt.
Laut Piotr Huang ist dieses Wertesystem das Herzstück der alten Tanzform und eine Besonderheit, die in der inneren Haltung verwurzelt ist, die im Chinesischen „yun“ heißt und den Tänzer auf emotionaler Ebene mit dem Publikum verbindet. Es macht auch jeden Künstler einzigartig. Huang ist einer der Ersten Tänzer der in New York ansässigen Kompanie Shen Yun Performing Arts, einer klassischen chinesischen Tanzgruppe mit der Mission, 5.000 Jahre chinesische Kultur wiederzubeleben.
Auch wenn zwei Tänzer dieselbe Bewegung ausführen, so Huang, „wird es trotzdem anders aussehen, denn was zum Vorschein kommt, ist ihr eigener Charakter hinter der Bewegung – ihr eigenes Gefühl“.
Huang spricht bescheiden über seine Erfolge. Schon als Student hat der gebürtige Warschauer im Fach klassischer chinesischer Tanz, das er an der Schule Fei Tian in New York absolvierte, Preise gewonnen. 2014 belegte er den ersten Platz in der Erwachsenenkategorie der Männer beim Internationalen Wettbewerb für klassischen chinesischen Tanz von New Tang Dynasty Television.
Als er sehr jung war, wurde er von seinen Eltern zum Tanzen gedrängt, aber er hat eine Leidenschaft für seine Kunst entwickelt. „Ich habe mich in ihn verliebt“, sagt er.
Der klassische chinesische Tanz ist einzigartig durch seine runden Bewegungen, Saltos, Sprünge und Turnelemente, sowie seine expressiven Möglichkeiten, die es den Künstlern ermöglichen, Charaktere aller Art und jederzeit darzustellen. Die Tänzerinnen sind oft sanft und leichtfüßig, während die Tänzer oft schnell und kraftvoll sind.
Huang erklärt, dass die anspruchsvolle Kunst nicht nur von den Tänzern verlangt, die zahlreichen Bewegungen und Figuren zu perfektionieren, sondern auch ihre eigene unverwechselbare Haltung zu finden.
Er verwendet eine Analogie zu den Kampfkünsten: Kämpfer mit weißen und schwarzen Gürteln können zwar denselben Schlag ausführen, beide Schläge unterscheiden sich aber grundlegend. „Was den Unterschied ausmacht, kommt von innen. Es ist dein eigenes Verständnis, dein eigener Lernprozess; Erfahrungen, die du im Laufe der Jahre machst. Was dabei herauskommt, ist total unterschiedlich, und man kann das sehen und fühlen“, meint er.
„Jeder Mensch hat einen anderen, einzigartigen Stil“, fügt er hinzu. Für Tänzer, die sich ernsthaft mit ihrer Kunst beschäftigen, gebe es auch einen Prozess der Verfeinerung des eigenen Charakters – einen Prozess, um die innere Haltung zu verfeinern, die sich dann im Tanz widerspiegelt.
„Ich denke, dass die Verfeinerung der Kunst des klassischen chinesischen Tanzes ein Prozess des Selbstverständnisses ist. Denn nur wenn man sich selbst und seine Schwächen kennt, kann man seinen Charakter besser verstehen; und wenn man ihn versteht, kann man ihn besser auf der Bühne darstellen“, erklärt er.
Huang spielt seit fünf Jahren den Affenkönig, eine bekannte Figur aus dem chinesischen Roman „Reise in den Westen“. Er beschreibt die Figur als „sehr verspielt, klug, dynamisch und schelmisch. Während die Kräfte des Affenkönigs unbegrenzt sind – er kann tun, was er will –, muss er gleichzeitig seinem Meister treu bleiben und seiner Verantwortung zum Schutz seines Herrn voll und ganz nachkommen. Um seinen Charakter zu stählen, muss der Affenkönig zahlreiche Prüfungen und Schwierigkeiten überstehen. Um die geistige Verfassung des Affenkönigs durch Tanzbewegungen und Gesichtsausdrücke darzustellen, muss man ein tiefes Verständnis für die Bestimmung, die Kämpfe und die Verwandlungen entwickeln, die der Affenkönig durchgemacht hat.“
Wenn ein Tänzer eine Figur zum ersten Mal darzustellen versucht, wirkt sie nach Huangs Meinung oft unnatürlich. Um die Figur richtig spielen zu können, muss der Tänzer zunächst die „innere Haltung“ der Figur verstehen.
„Dein Charakter beeinflusst deinen Tanz“, sagt er und ergänzt: „Wenn du nur versuchst, die Figur zu spielen, wird es unnatürlich aussehen, weil du sie nur darstellst, du bist es nicht wirklich. Bevor du also auf die Bühne gehst und die Figur aufführst, solltest du dich in deinem wirklichen Leben in ihre Lage versetzen und versuchen, so zu denken, wie sie denken würde. Du musst diese Figur sein.“
Die Darstellung jeder Figur erfordere einen Prozess, meint Huang. Er erforscht gewöhnlich die Figur, um ihren Hintergrund und ihre Gewohnheiten zu verstehen. „Durch diesen Prozess erfährt man auch etwas über diese besondere Zeit in der Geschichte, den Aufbau der Gesellschaft und was die moralischen Standards dieser Zeit waren.“
Als Beispiel nennt er eine weitere wichtige Figur, die er dargestellt hat: Kaiser Kangxi, der vierte Kaiser der Qing-Dynastie, der von 1661 bis 1722 61 Jahre lang regierte und den Thron schon als Kind bestieg. Huang erklärt: „Als Kind bist du emotional noch nicht bereit, die Verantwortung für die Führung eines Landes zu übernehmen. Du wirst leicht von denen, die dich umgeben, beeinflusst. Aber dennoch bist du Kaiser, und bist dir deiner historischen Mission bewusst. Also musste ich die Herausforderungen darstellen, vor denen der Kaiser steht. Ich musste die Kämpfe, die Macht, den Mut und die Weisheit des Kaisers darstellen, die über die Eigenschaften eines Menschen in diesem Alter hinausgehen.“
Huang glaubt, dass in den 5.000 Jahren der chinesischen Geschichte die moralischen Standards viel höher gewesen sind als heute. Das bedeute, dass die Darstellung von Figuren aus diesen Epochen auch einen Prozess der Selbstverfeinerung erfordert. „Ich denke, man kann daraus viel lernen, verbessert gleichzeitig seinen moralischen Charakter und wird ein besserer Mensch.“
Für ihn ist klar: „Wenn du ein besserer Mensch wirst, wirst du ein besserer Tänzer.“
Die Idee, dass der Grad der Selbstvervollkommnung das Niveau der eigenen Fähigkeiten bestimmt, ist laut Huang tief in der Kunst des klassischen chinesischen Tanzes verwurzelt. Da die Kunst selbst ein Teil der chinesischen Geschichte sei, seien „die Werte dieser Zivilisation mit dieser Kunstform verwoben. Nur wenn man Teil dieser Werte wird, kann man den klassischen chinesischen Tanz wirklich schätzen.“
Diese Selbstverfeinerung ermögliche es wiederum einem Künstler, sich mit seinem Publikum zu verbinden. „Wenn man ein besserer Mensch wird, wird man auch ein besserer Tänzer. Die Energie, die von dir ausgeht und die sich mit dem Publikum verbindet, wird viel positiver“, sagt er. „Ich denke, dass jeder Mensch eine Seite mit positiver Energie hat, und wenn man diese positive Energie mit dem Publikum verbindet, erzeugt das eine Resonanz, weil wir alle die gleichen Elemente in uns haben.“
Huang teilte die Erfahrungen seiner Entdeckungen in der Kunst mit anderen. Im Laufe der Zeit stellte sich eine Verbindung zwischen Huang und den Werten her, die in der alten chinesischen Kultur verwurzelt sind, wie beispielsweise Respekt vor Gleichaltrigen und Respekt vor Älteren – Werte, die seiner Meinung nach auch Demut lehren. Durch diese, sagte er, „ist man aufnahmefähiger und kann besser lernen. Man stellt sich nicht über andere, egal was passiert.“
„Ich denke, das ist eines der wichtigeren Dinge im Leben: dass es nicht um einen selbst geht, sondern um die anderen um einen herum“, erklärt er.
The Epoch Times