Porträt: Erste Tänzerin Michelle Lian
ZUERST LERNTE SIE ZU TANZEN, DANN ZUZUHöREN, DANN IHRE KULTUR ZU FEIERN
Das Magazin Taste of Life ist Frankreichs und Kanadas führendes zweisprachiges Luxus-Lifestyle-Magazin in chinesischer und englischer Sprache. Es will eine Brücke zwischen Ost und West bauen durch die gegenseitige Wertschätzung der Schönheit und Eleganz beider Traditionen.
In der jüngsten Ausgabe des TOL wurde die Erste Tänzerin von Shen Yun, Michelle Xu Lian, vorgestellt. Lian ist seit 2013 bei Shen Yun. Im Jahr 2018 gewann sie den ersten Platz im Internationalen klassischen chinesischen Tanzwettbewerb von New Tang Dynasty Television (Frauen-Kategorie). Lian tourt in dieser Spielzeit mit der Shen Yun New York Company durch Nordamerika und Europa. Sie ist die Tänzerin auf dem Shen Yun-Poster 2019.
Aus Taste of Life: Wie eine junge Tänzerin gelernt hat, sich in ihrer Kultur zu entfalten.
Zuerst lernte Lian Xu zu tanzen, dann zuzuhören, dann ihre Kultur zu genießen.
Im Jahr 2014 nahm Lian Xu an einem klassischen chinesischen Tanzwettbewerb in New York City teil, mit einem Stück, das auf einem 3.000 Jahre alten Gedicht basiert.
„Binsen und Schilf“, so lautet der Titel des Gedichts aus dem Buch der Oden. „Dick wachsen die rauschenden Blätter; / Ihr weißer Tau verwandelt sich in Frost. / Derjenige, den ich liebe / Muss irgendwo an diesem Fluss sein.“
Lian gewann eine Goldmedaille für ihre Vorstellung, die dem Publikum und den Preisrichtern ein solches Gefühl der unschuldigen Sehnsucht vermittelte, dass es in ihren Herzen schmerzte.
„Ich finde dieses Gedicht besonders schön“, sagt Lian in einem Interview. „Es ist in anderen künstlerischen Sphären. Es steht nicht drin, wer der Gesuchte ist – das Ganze hat eine verträumte Schönheit.“
Lian Xu ist jetzt bei Shen Yun Performing Arts, der weltweit renommiertesten und angesehensten klassischen chinesischen Tanzgruppe. Wenn sie nicht trainiert und übt, reist sie mit Dutzenden von Gleichaltrigen und tritt vor ausverkauftem Haus in den renommiertesten Theatern der Welt auf. Die Lektionen, die sie in ihrer preisgekrönten Vorstellung gelernt hat, haben es ihr ermöglicht, sich in einem Umfeld zu behaupten, in dem Spitzenleistungen die Regel sind.
Eine dieser Lektionen ist „intensiv üben“. Eine andere ist „Rückmeldungen aufnehmen“. Während der Choreografie ihres Tanzes zu dem Gedicht wurde ihr gesagt, dass ihre Bewegung – ihren Fächer über das Wasser zu fegen und nach dem „Einen“ zu suchen – zu oberflächlich sei.
„Jemand sagte mir, dass die Bewegung nicht ausdrucksstark genug sei; ich sollte mir die Szene in dem Gedicht vorstellen: das grüne Schilf, den Kristalltau und die glitzernden Wellen auf dem Wasser. Als ich es mir vorstellte, änderten sich meine Bewegungen sofort“, erklärt Lian. „Die Schönheit stieg aus ganzem Herzen auf und floss in jeden Teil meines Körpers.“
Lian Xu trat in die Fei Tian Academy of the Arts ein, die Talentschmiede für Shen Yun-Tänzer, nachdem ihre Familie von Taiwan in die Vereinigten Staaten zog und ihr Vater den Arbeitsplatz wechselte. Das Studium bei Fei Tian war ein Traum, den sie seit ihrem 7. Lebensjahr gehegt hatte, als sie Shen Yun zum ersten Mal auf der Bühne in Taipeh sah. Nach dieser Aufführung schickten ihre Eltern sie zu örtlichen klassischen chinesischen Tanzkursen. Sie bewarb sich zum ersten Mal als 11-Jährige bei Fei Tian, war aber nicht groß genug, um die Anforderungen zu erfüllen.
Die Zeit verging, und sie wuchs und bewarb sich später wieder. Nachdem sie aufgenommen wurde, begann die eigentliche Arbeit.
„Als ich anfing, hier Tanz zu lernen, sagte mir eine Oberstufenschülerin, dass ich lernen sollte, stark zu sein“, sagt Lian. „Aber ich habe nicht verstanden, was sie meinte.“
Lian war bereits stark, zumindest körperlich: extrem flexibel und sehr wendig, sie springt hoch und hat mehr als genug Ausdauer. Sie fing an zu tanzen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.
Aber Körperlichkeit ist nicht alles, was zählt, wenn es um die komplexe Kunst des klassischen chinesischen Tanzes geht. Mentale und spirituelle Stärke und Ausdauer sind ebenfalls notwendig.
Feedback zum Beispiel war für Lian nicht immer einfach zu akzeptieren. Aufgewachsen in Taiwan, mit liebevollen Eltern und großem Talent bei allem, was sie tat, hatte sie selten Grund sich korrigieren zu lassen.
„Ich hatte fast alles gut gemacht, seit ich klein war“, fügt Lian hinzu. „Ich wurde selten kritisiert. Deshalb ist es für mich besonders schwer, die Kommentare von Lehrern oder Klassenkameraden zu meinen Fehlern oder Problemen zu akzeptieren.“
Die Ansprüche von Lian an sich selbst waren schon immer hoch, sodass sie es fast unerträglich fand, wenn sie es auch nach wiederholter Übung nicht schaffte, eine Bewegung zu lernen.
„Eines Nachts, als ich nach dem Tanzunterricht weiter übte, versuchte eine Oberstufenschülerin, mir zu helfen. Obwohl sie sehr einfühlsam war, konnte ich es nicht ertragen. Ich fühlte mich, als würde der Himmel einstürzen“, erinnert sich Lian.
Ihre Freundin reagierte jedoch nicht, sondern fuhr geduldig mit der Schulung fort, bis sie schließlich weitere zwei Stunden lang gemeinsam geübt hatten. Es war spät, aber „Ich habe diese Bewegung endlich gelernt!“, sagt sie.
Lian war tief berührt von der Selbstlosigkeit der anderen Schülerin, die die Großzügigkeit des Geistes, die ein Kernbestandteil der Mission von Shen Yun und Chinas traditionelle Kultur ist, an den Tag legte.
„Wenn es niemanden gäbe, der auf meine Probleme hinwiese, wie könnte ich mich dann verbessern?“, überlegt Lian. Sie weiß jetzt solche Gelegenheiten zu schätzen.
Der klassische Tanz Chinas hat eine vieltausendjährige Geschichte und ist ein wichtiger Bestandteil der Kultur des Landes, der in Hoftänzen vor dem Kaiser oder bei der Feier von glückverheißenden Anlässen aufgeführt wird. Mit ihren komplexen und grazilen Formen, Posen und Haltungen haben die chinesischen klassischen Tänzer eine endlos ausdrucksstarke Palette, mit der sie Geschichten erzählen und dem Publikum die Gefühle ihrer Figuren vermitteln können.
Die Akteure können ihre Mimik einsetzen, um Bedeutungen zu vermitteln, betont Lian. Aber Tanz ist eine Kunst des ganzen Körpers. „Dein ganzer Körper muss von einem vollen und üppigen Gefühl angetrieben werden, das du dann hervorbringst und in deinen Bewegungen und Ausdrucksformen vollständig zum Ausdruck bringst. Jeder im Publikum kann es dann spüren“, sagt Lian.
Von ihrer preisgekrönten Vorstellung bis hin zu den gelegentlichen Verweisen auf den taoistischen Philosophen Chuang Tzu, mit dem sie das Interview gewürzt hat, hat sich Lians Verständnis für die Beziehung zwischen ihrer eigenen Kunst und Chinas Traditionen im Laufe der Jahre nur noch vertieft.
Auch ihr Eindruck von Chinas alter Sprache – nicht die heute gebräuchliche, sondern die, die im Laufe der Jahrtausende in Büchern auftaucht – hat sich verändert. Sie fand das Lesen solcher Geschichten in der Schule langweilig, findet sie aber jetzt lebendig und spannend, zum Teil wegen der Botschaften, die sie vermitteln.
„Ich möchte, dass mehr Menschen die traditionelle chinesische Kultur verstehen, indem sie Shen Yun sehen“, sagte Lian. Mit ihren großen Augen und ihrem glücklichen Lächeln ist es unmöglich, ihr nicht zu glauben. Lian Xus Unschuld ist entwaffnend, und die hoffnungsvolle Vision, die sie für die Wiederbelebung der traditionellen chinesischen Kultur hat – geradezu verlockend.
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