Geschlossene Türen und ein leeres Theater
6. Mai, Seoul, Südkorea – Draußen ist es recht kühl, aber das ist in Ordnung, denn nun treten wir endlich in Seouls bekanntem KBS Theater auf! Tanz-Training – absolviert; Sound Check – erledigt; alle Abteilungen in den Startlöchern. Es ist fast 19 Uhr, und das Publikum wartet draußen im Foyer, um die Plätze einzunehmen. Makeup, Kostüme, Tanzschuhe, Lächeln? Überprüfen, überprüfen, überprüfen, gegenprüfen. Nur der Vorhang trennt uns von den nächsten vier Shows und den 8.000 Menschen, deren Leben wir bald berühren werden.
Wenn die Welt vollkommen wäre, dann hätte unser heutiger Zeitplan so ausgesehen. Stattdessen sind wir in Seoul, sitzen fest im Hotel, dreißig Tänzer, die versuchen, aus einem kleinen Fitnessraum das Beste herauszuholen. Die Orchester-Mitglieder sitzen in einem Flur fest, wo sie geräuschlos auf ihren Instrumenten üben, den Bogen und die Finger durch die Luft gleiten lassen, ganz und gar bereit, die Schönheit der Kunst mit anderen zu teilen, aber sie tun das lautlos, um die anderen Gäste nicht zu stören.
Das KBS Theater steht derweil leer und unbenutzt da an einem geschäftigen Wochenende und hat dabei Tausende von Gästen vergrault. Und unterdessen hat der Zeitplan unserer Tour mit einem Quietschen angehalten.
Trotz alledem bin ich besonders traurig wegen der Menschen in Seoul, die unsere Vorführung hatten sehen sollen. Wie ich höre, sind einige mit dem Flugzeug gekommen, mit Zügen und hatten eine Anreise von mehreren Stunden. Einige haben Hotels gebucht, Treffen abgesagt, Urlaub genommen. Viele sind sogar aus China herübergeflogen. Selbst wenn jeder Gast eine Entschädigung erhielte, gibt es doch etwas, das Geld einfach nicht ersetzen kann.
Unsere Aufführung erweckt fünftausend Jahre traditioneller chinesischer Kultur wieder zum Leben, aber jenseits dessen bringt sie Hoffnung. „Sie müssen kommen [um Shen Yun zu sehen]. Sie müssen kommen. Es wird ihr Leben verändern.“ „Sie reisen überall im Land herum, um Liebe zu verbreiten. Es ist beeindruckend.“ Das sagen Leute, nachdem sie unsere Vorstellung gesehen haben. Bedeutet also das Absagen der Shows nicht auch, den Menschen von Seoul das Erlebnis ihres Lebens zu rauben?
Aber neben den unerfreulichen Ereignissen, die zu diesem Tag geführt haben, trage ich weiterhin Hoffnung für die Zukunft in mir. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Kosmos letztendlich gerecht ist, und ich glaube, dass Shen Yun eines Tages im KBS Theater auftreten wird. Wann auch immer, ich habe das Gefühl, es wird bald sein. Und vielleicht, nur vielleicht, werden wir nach unserem Auftritt bei KBS zuletzt auch in China auftreten.
Michelle Wu
Contributing writer
6. Mai 2016