Eine Bedrohung für die Kunst
Am Abend des 4. Mai traf donnernder Applaus auf die Vorhänge unseres letzten Auftritts in Ulsan, Südkorea. Die Hoffnung und Freude, die ich im Publikum sah, war ein Spiegel derselben in meinem Herzen. Die allerletzte Etappe unserer langen Tournee ging allmählich zu Ende; es blieben nur noch Auftritte in Seoul und Suwon.
Ich hatte mich auf Seoul gefreut. Obwohl ich von unserem hektischen Asien-Tourplan müde und erschöpft war, hatte der letzte Auftritt in Ulsan in mir nur noch mehr Vorfreude auf das kommende Wochenende geweckt. Die Tickets verkauften sich gut, als wir uns schließlich bereit machten, monatelange harte Arbeit mit den Menschen in der koreanischen Hauptstadt zu teilen.
In dieser Nacht, als wir gerade im Begriff waren, auf der Autobahn nach Seoul zu fahren, und nur zwei Tage bevor der Vorhang in der KBS Hall geöffnet werden sollte, erfuhren wir, dass unsere Vorstellungen abgesagt worden waren.
Die KBS Hall gehört dem Korean Broadcasting System, einem nationalen Fernsehsender, und der Veranstaltungsort ist einer der angesehensten auf der koreanischen Halbinsel. Einige Monate zuvor im Februar, beschloss das KBS, unseren Theater-Mietvertrag zu kündigen, nachdem sie einen Brief der chinesischen Botschaft erhalten hatten. Unser Veranstalter in Südkorea wandte sich mit dem Fall an das Southern District Court in Seoul, das entschied, dass die Annullierung rechtswidrig war und Shen Yun die Möglichkeit gegeben werden musste, aufzutreten. Das war im April.
Aber jetzt, eine halbe Stunde bevor es die Türen für das lange Wochenende schloss, erließ das gleiche Gericht einen neuen Beschluss, der die Entscheidung vom letzten Monat aufhob und die Annullierung stützte. Im neuen Beschluss wurden zwei weitere Briefe der chinesischen Botschaft aufgeführt, einen an die KBS Hall und einen an das Bezirksgericht. Diese enthielten Androhungen für die Geschäftsbeziehungen, wenn die Vorstellungen planmäßig aufgeführt würden. Das Gericht und die KBS versuchten, die kommerziellen Interessen des Senders in der Volksrepublik China zu schützen, wo koreanische Dramen sehr beliebt sind.
An der Oberfläche waren die einzigen Folgen Tausende von vergeudeten Tickets und verärgerte Zuschauer, und vielleicht ein paar Tage der Untätigkeit für uns Darsteller.
Shen Yuns Geschichte seiner Auftritte in Südkorea war von Anfang an mit Schwierigkeiten und Störungen behaftet. In den Vereinigten Staaten - oder Kanada, wo ich herkomme, finden es Theaterverantwortliche wahrscheinlich lächerlich, wenn sie mysteriöse Drohungen und verdächtige Anrufe von einer ausländischen Botschaft erhalten. Aber ich nehme an, in Südkorea schüren sie wirklich Angst. Für eine mit China geographisch und wirtschaftlich so eng verbundene Nation könnte eine kompromittierte Beziehung für ein Unternehmen Leben oder Tod bedeuten.
In ihren Drohbriefen machte die chinesische Botschaft deutlich, dass die staatlich geförderte KBS, eines der größten Medienkonzerne Südkoreas, die Meinung der koreanischen Regierung vertrete. Die Darsteller von Shen Yun praktizieren Falun Gong, eine spirituelle Disziplin, die von der Kommunistischen Partei Chinas verfolgt und beschmutzt wird. Wenn man Shen Yun erlauben würde, in der KBS Hall aufzutreten, würden, so die Drohungen der Botschaft, die chinesisch-koreanischen Beziehungen geschädigt, und KBS könnte plötzlich nicht mehr in der Lage sein, Geschäfte mit chinesischen Sponsoren und Unternehmen zu machen. Sowohl KBS als auch das koreanische Gerichtssystem gaben nach.
Ich bin Tänzerin. Mein Wunsch ist es, dem Publikum meine Kunst nahe zu bringen und die Schönheit des klassischen chinesischen Tanzes und der traditionellen Kultur, genauso wie die universellen Werte von Wahrhaftigkeit, Güte und Toleranz, zu vermitteln. Mehr als unsere verpasste Gelegenheit, in Seoul aufzutreten, fühle ich für die Tausenden von Menschen, die Tickets gekauft haben. Vielleicht sind sie diejenigen, die am meisten verlieren, da ihre Justiz Geschäftsbeziehungen über die Meinungsfreiheit stellt.
Wenn wir verstehen, warum Shen Yun an so vielen Orten, an denen wir auftreten, auf diese Art von Widerstand stößt, können wir sehen, wo die eigentliche Bedrohung liegt. Es gibt eine Macht, die alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um Shen Yun davon abzuhalten, unsere Version von Hoffnung und Menschlichkeit zu teilen. Wenn selbst die Justiz einer Demokratie solchen Bedrohungen nachgibt, was sagt das über die Zukunft der Künste aus?
Lily Wang
Gastautorin
7. Mai 2016