Zurück-in-die-Zukunft-Bumerang
Ende letzten Monats schlossen wir unsere Aufführungen im Lincoln Center ab. Wie versprochen präsentierten wir einige unserer Shen Yun-Klassiker, Favoriten von unseren vergangenen Spielzeiten. Die Aufführungen waren ein großer Erfolg und es war eine Ehre in einem der besten Veranstaltungsorte der Welt aufführen zu können.
Als wir von einem schönen „Sommerurlaub“ von vierzehn Tagen zurückkehrten, hatten wir nur drei mickrige Wochen um uns auf die bevorstehenden Aufführungen vorzubereiten, inklusive Stücke, die wir seit Jahren nicht mehr getanzt hatten. Jeder Tag war dichter vollgepackt, als Sardinen in einer Dose. Wir waren alle in den Tanzproberäumenn mit Praktizieren beschäftigt, probten mit unserem Orchester auf der Bühne und bereiteten Kostüme und Requisiten vor.
Als langjähriges Mitglied der „Haarteilabteilung“ musste ich mehrere Male unseren Abstellraum aufsuchen. Leider sind unsere Kopfteile auf der dritten Etage weggesperrt. Ich sage leider, weil ich das Treppensteigen verabscheue, vielleicht noch mehr als Kung Fu Panda. Nach einem langen Tanztag ist das letzte was ich sehen will eine Treppe.
Als ich das erste Mal nach oben stieg, war ich außer Atem und erschöpft. Ich klammerte mich an das Geländer, als ich mich schnaufend und keuchend nach oben hievte und jeder verräterische Schritt prüfte meine Durchhaltevermögen. Sie können sich vorstellen, wie ungeheuer erleichtert ich war, als ich endlich oben ankam. Ich hielt ein paar Sekunden inne, erholte mich von diesem traumatischen Erlebnis und ging behutsam durch die Tür.
Das Zimmer war dunkel und trübe mit Ausnahme einiger Sonnenstrahlen, die achtlos durch mehrere Fenster herein fielen. Ich konnte die Umrisse von Kostümen erkennen, zusammen gebündelt und in Plastik eingewickelt, die kraftlos auf Metallgestellen hingen. Es schien als ob dieser Ort verlassen und seit Jahren vernachlässigt worden wäre. Die einzigen Lebewesen, die es schafften zu überleben, waren die Wollmäuse, die in den Ecken herum huschten.
Ich schnippte den Lichtschalter an und stapfte hinüber zu einem kleineren Raum auf der Seite, wo unsere Haarteile aufbewahrt wurden. Ich fühlte mich so, als ob ich nach einem Schatz suchte. Ich habe mich durch die Schachteln hindurch gegraben, eine nach der anderen, jede mit einer dünnen Staubschicht bedeckt. Drinnen in diesen Zeitkapseln saßen unsere Haarteile, einige davon hatte ich seit dem letzten Mal, als wir sie vor vier Jahren wegpackten, nicht mehr gesehen. Jedes hatte seinen eigenen Teil an Erfahrungen erlebt, reisten mit uns zu verschiedenen Orten und wurden auf den Bühnen der ganzen Welt gezeigt. Zwanzig Jahre von heute, wenn wir uns jemals entschließen sollten, diese 'Antiquitäten' auf eBay zu verkaufen, werden sie unbezahlbar sein.
Zuerst hatte ich Schwierigkeiten mich daran zu erinnern, wie einige der Bewegungen der alten Tänze gehen. Ich habe nicht die Hirnleistung, um die Tanzbewegungen von vier Tourneen zu behalten. Ich hatte keine andere Wahl als auf vergangene Videos zurückzugreifen, einige davon waren noch nicht einmal verlässliche Quellen. Tänze wie In einem Dorf der Miao sind so vielen Überarbeitungen unterzogen worden, wir konnten uns noch nicht einmal daran erinnern, welche die aktuellste Version war. Unsere Choreographen haben die Macht Bewegungen und Formationen zu verändern. Dieses Jahr haben sie auch die technischen Schwierigkeiten der Tänze erhöht. Und deshalb war es keine Überraschung als Miao sich in noch eine weitere Variante entwickelte.
Trotz einiger geringfügiger Veränderungen brachten diese vergangenen Programme viele freudige Erinnerungen zurück und zeigten, wie sehr wir als ein Ganzes gewachsen sind. Es gab unzählige Vorfälle, die allzu vertraut schienen, so als ob ich wiederholt déjà vu erlebte, wiederholt und von neuem, wie ein déjà vu.
Vor der Eröffnung jeder Aufführung, während wir darauf warteten, dass sich der Vorhang hob, schloss ich meine Augen, als das milchweiße Trockeneis sich über den eleganten schwarzen Marley-Boden ausbreitete, und bekam eine Gänsehaut. Als die anmutigen Wasserfeen mit Leichtigkeit auf der Bühne tanzten, konnte ich nicht anders und musste kichern, als ich mich daran erinnerte wie ungeschickt wir waren, als wir vor vier Jahren das erste Mal diesen Tanz lernten. Wir praktizierten Stunden lang einfach nur damit wir die Fächer auf gleicher Höhe halten und gemeinsam die Kräuselwirkung schaffen konnten. Ich war beeindruckt von Die Trommler des Tang-Hofes, nicht nur deswegen wie sie sich selbst als Schlagzeugspieler übertrafen, sondern auch weil jeder Schlag ihrer Trommeln mit der robusten Energie der Männer der Tang Dynastie widerhallte.
Und obwohl ich unzählige Male zuvor mich der Gefahr gegenübersah Tücher zu drehen, war ich jedes Mal, wenn ich meinen 'Bumerang' in die Luft schleuderte nervös. Die Atmosphäre war identisch mit der letztjährigen Tournee. Ich versuchte schneller zu laufen, schneller zu tanzen, so als ob das die Zeit schneller vorübergehen lassen würde, aber trotzdem fühlten sich diese vier Minuten immer wie Äonen an. Schwitzende Hände und Herzklopfen halfen nicht, dass ich mich besser fühlte. Die Spannung in der Luft war ansteckend: alle drückten ihre Daumen während sie mit aufgerissenen Augen auf die blattgrünen Tücher starrten, in der Hoffnung, dass sie Kontrolle behalten und nicht auf den Boden fallen würden. Erst als sich der Vorhang senkte stieß ich einen riesigen Seufzer aus, doch war ich normalerweise in so viel Schock, dass ich mindesten für weitere fünf Minuten zitterte. Manche Dinge ändern sich einfach nie.
Alison Chen
Gastautorin
12. Juli 2011