„Fisch-Licht?“
„Fisch-Licht“ – die magische Waffe eines Tänzers. Wenn du dir nicht sicher bist, hilft es dir, nicht zurück zu bleiben; wenn du vorwitzig und unternehmungslustig bist, zieht es dich zurück in die Gruppe. Ob du gerade solo oder in der Gruppe tanzt, in einem Studio oder auf der Bühne, „Fisch-Licht“ ist immer schnell zur Hand.
Na … gibt es Vermutungen über die Bedeutung dieses geheimnisvollen Begriffs?
Also, beim Tanzen mußt du in der Lage sein, aus den Augenwinkeln heraus zu sehen. In Mandarin heißt das yu guang (余光, wörtlich übersetzt „Zusatzlicht“ oder „Extra-Sicht“). Aber Chinesen können trickreich sein, zumal sich unterschiedliche Schriftzeichen gleich anhören können. Yu guang (余光) hört sich an wie yu guang (魚光), das übersetzt heißt „Fisch-Licht“. Tada! Ich denke, das sollte in das Essential Dancer Dictionary aufgenommen werden.
Warum? Also, wenn man darüber nachdenkt, ist „Fisch-Licht“ in der Welt des Tanzes eigentlich ein legitimes Konzept. Einerseits sind Fische immer wachsam. Da sie auf jeder Seite ihres Kopfes ein Auge haben, können sie nach rechts und nach links, nach oben und nach unten, nach vorne und nach hinten sehen. Fische können Gegenstände sogar durch leichtes Vibrieren des Wassers fühlen. Das ist ganz besonders hilfreich, wenn sie in ganzen Schulen schwimmen, da sie dadurch fühlen können, wenn andere Fische beabsichtigen, die Richtung zu wechseln.
Die meisten Fische fühlen sich in einer großen Gruppe wohl, insbesondere in Gruppen der gleichen Species. Für Fische ist es wichtig, sich synchron zu verhalten, nicht, weil das verhindert, dass sie mit anderen Fischen zusammen stoßen, sondern weil es ihre Überlebenschance erhöht. Synchrones Verhalten macht es Feinden schwerer, einzelne von ihnen abzutrennen. Tatsächlich sind Fische besser organisiert, wenn ein größerer Fisch versucht, sie zu verschlingen. Je erregter sie sind, desto sensibler sind sie für die Bewegungen der anderen. Wenn sie beieinander bleiben, können sie den Feind irreführen, sodass der denkt, diese Fischschule sei ein einziger Fisch – einer, auf den er nicht mehr so viel Lust hat.
Ebenso sind auch wir Tänzer uns immerzu unserer Umgebung bewusst, besonders bei Ensemble-Stücken. Unsere Bewegungen müssen ganz genau die gleichen sein, und bei jeder Figur muss jeder an einem ganz bestimmten Platz sein, sonst wäre das gesamte Bild ruiniert. Es ist absolut tabu, den Kopf nach rechts oder links zu drehen, um festzustellen, ob wir uns in einer Linie befinden, deswegen nutzen wir eben unseren Rundumblick! Diese Fähigkeit entwickelt sich normalerweise im Unterrichtsraum durch viel Training, aber es beruht auch auf unserem stillschweigenden Verständnis oder mo qi für einander. Manchmal müssen wir uns noch nicht einmal sehen, um zu wissen, was der andere gerade tut oder wo er/sie steht. Je fester wir miteinander verbunden sind, desto besser sind wir aufeinander abgestimmt und desto leichter ist es, in der Gruppe mitzuschwimmen.
Zum Glück müssen Tänzer nicht vor hungrigen Feinden davonlaufen, da es hier nicht ums Überleben geht (nur vor scharfäugigen Tanzlehrern muss man auf der Hut sein). Aber ich finde es toll, wie Fische die Welt sehen und wie ihre Art zu sehen alle anderen einschließt. Ein Fisch könnte nie einen Ozean für sich beanspruchen, ebenso wie nie einer von uns alleine auf der Bühne stehen könnte. Es ist diese Synergie, die uns zusammen hält, die Überzeugung, dass „ein Ganzes größer ist als die Summe seiner Teile“, ebenso wie Millionen kleiner Fische zu einem großen Fisch werden.
Ist der Bezug klar geworden?
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Alison Chen
Gastautorin
2. September 2013