Astronaut in der Schlangengrube
So setzen sich meine Abenteuer mit der Audiomannschaft fort! Ich stelle gerade fest, dass viele meiner interessantesten Erfahrungen aus der Arbeit mit der Produktionsmannschaft entstehen. Trotz der frühen Stunden, harter Arbeit und etliche Übungsstunden an der Geige versäumen, kann ich mir nicht vorstellen, nicht Teil der Mannschaft zu sein. Muss ja langweilig sein. Naja, zurück zu meiner Geschichte. Am 24. März kamen wir in Dublin, Irland nach einer etwas wackeligen, siebzehnstündigen Bootsfahrt an.
In diesem Jahr hatten wir Auftritte in einem praktisch nagelneuen Theater, was dem Alten auf der anderen Flussseite gegenüber lag (das auch neu war, als wir dort im letzten Jahr auftraten). Dieses Theater war hochmodern. Außer der Tatsache, dass das Gebäude von außen aussah, als käme es direkt aus einem Science-Fiction-Film, der von der menschlichen Besiedelung des Planeten Mars handelt, gab es innen einen gewaltigen Aufzug, der unsere komplette Ausrüstung mitsamt Lastwagen fünf Stockwerke hoch brachte. Während meiner sämtlichen weltweiten Reisen bin ich in den Theatern auf viele Aufzüge gestoßen, die unsere Ausrüstung viele Stockwerke zu diversen oberirdischen Ebenen brachten, aber dieser nahm unsere Ausrüstung im Lastwagen auf! Als ich über den Aufzug staunte, zuckte ein Theaterbesatzungsmitglied mit den Achseln und sagte beiläufig, "Och, davon haben wir zwei." Jeder Sitz im Publikum hatte eine kleine Klimaanlage darunter, sowie einen Stecker, um Geräte während der Show aufzuladen. Im Gegensatz zu älteren Theatern liefen in diesem sämtliche Leitungen unterirdisch. Wer auch immer sich dieses Gebäude ausgedacht hatte, hat an alles gedacht. Jedes Mal wenn ich eine Leitung brauchte, öffnete einer vom Theaterpersonal zu meinem Erstaunen ein Loch im Boden. "Raffiniert, nicht?" fragten sie lachend. "Genial" antwortete ich.
Damit das Orchester überall im Auditorium gehört werden kann, müssen alle Instrumente mit kleinen Mikrofonen ausgestattet werden, und um die Mikrofone des Orchesters mit den Lautsprechern des Theaters zu verbinden, haben wir zwei dicke, 250 Fuß (76 Meter) lange Leitungen (wir nennen sie "Schlangen"). Diese mussten durch einen unterirdischen Tunnel unter dem Publikum durch das komplette Haus zum Tontechniker hinter den Sitzen gezogen werden.
Als wir beim Aufbauen waren, zog ein Theatermitarbeiter die "Schlange" für uns heraus. Bevor er in den Schacht hineinging leerte er seine Taschen und nahm nur seine Taschenlampe mit. Er zog dann etwas an, was wie eine Kreuzung zwischen einem Raumanzug und einem biochemischen Schutzanzug aussah. Er war vom Kopf bis Fuß bedeckt, nur das Gesicht war frei. Zuerst dachte ich, dass der Anzug ein bisschen übertrieben war. Sicher, es könnte ein wenig staubig sein da unten, aber bitte - ein Raumanzug?!
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fand den Anzug toll und brannte darauf, selber einen anzuziehen, ich dachte nur, dass es doch ein bisschen fehl am Platze war. Aber so läuft das nun mal in hochmodernen Theatern, was? "So, ich geh' jetzt rein," sagte der Mann, und kletterte durch eine Klapptür und verschwand in die Finsternis. Als er fast eine halbe Stunde später herauskam, hob ich schockiert meine Brauen. Er war schweißgebadet, sein Anzug war an fünf verschiedenen Stellen gerissen, und er hatte eine blutige klaffende Wunde an seinem Arm.
"Puh. Das ist heftig", war alles, was ich sagen konnte.
"Wem sagst du das. Ich werde nicht hier sein, wenn ihr wieder abbaut, also wirst du das nächste Mal runtergehen müssen", sagte er, während er seinen nun zerschlissenen einmal-Schutzanzug auszog.
Ich bezweifelte nicht mehr die Notwendigkeit des Schutzanzugs, und Sie können mir glauben, wenn ich jetzt sage, dass ich mich nun NICHT darauf freute, sie anzuziehen.
Als es ans Abbauen ging, warf ich meine Arbeitskleidung und natürlich den gefürchteten Schutzanzug über. Es ist nur ein unterirdischer Tunnel, es kann ja nicht so schlimm sein! Meine Ängste abschüttelnd, ergriff ich eine Taschenlampe und signalisierte den anderen Audiomannschaft-Mitgliedern, die draußen auf mich warten würden.
"Ich geh’ jetzt rein", sagte ich, und ging ins schwarze Loch. Die ersten wenigen Meter des Weges waren relativ geräumig. Ich folgte den „Schlangen“ mit meiner Taschenlampe und setzte meinen Weg fort, bis die Schlangen auf einem Sims entlang führten, wo ein Metalllüftungssystem quer durchging. Es gab nur eine kleine dreieckige Lücke zwischen dem Sims und den Öffnungen. "Soll ich da durchklettern?!" dachte ich mir und sah mich verzweifelt nach einen anderen Weg um. Alles andere war dicht blockiert; das war die einzige Öffnung.
"Unglaublich" murmelte ich. Die Taschenlampe zwischen meinen Zähnen haltend, hüpfte ich hoch und kam auf das Sims mit einem Knie. Den Rest schob ich mich hoch, dann kauerte und quetschte ich mich durch die Lücke, wo ich gerade noch durchkam. Ich hatte bereits einen Riss im Knie meines Anzugs. Froh, an diesem kleinen Hindernis vorbei gekommen zu sein, stand ich auf, und hatte mich nur etwas erhoben als ich mit dem Kopf heftig gegen einen Stahlbalken stieß. Ich schrie instinktiv kurz auf. Als ich meine Taschenlampe nach oben richtete, sah ich, dass das „Dach“ kaum drei Fuß (90 cm) hoch war.
"Soll das ein Witz sein?!" sagte ich mir laut. Dieser Ort war bestimmt nicht für den menschlichen Durchgang beschaffen! Musste man das jedes Mal tun, um das Tonsystem anzuschließen?! Wer hat das entworfen!? DAS soll ultra-modern sein?! Meinen Kopf schüttelnd, schob ich die Taschenlampe in meinem Mund zurück und legte mich bäuchlings auf den staubigen Fußboden. So kroch ich Zoll um Zoll vor, mit meinen Ellbogen und Knien schiebend. Ich fühlte mich wie ein Soldat, der nachts durch einen Schützengraben kriecht. Schließlich erreichte ich nach einer gefühlten Stunde ein anderes kleines Loch. Was als nächstes kam war ein röhrenförmiger Tunnel, wo ich mich mit vielen Schüben und Kratzen durchquetschte. Gerade als ich dachte, dass das schlimmste zu Ende war, folgte meine Taschenlampe den Leitungen gerade aufwärts auf ein Sims, das sieben Fuß (2 Meter) hoch war. Es gab keine Leitern um hochzuklettern, und ich war auf allen vier Seiten von Zement und Stahl umgeben. Es war nicht einmal Platz, um meine Knie zum Sprung zu biegen. So begann ich ringsherum in der Dunkelheit zu tasten, um etwas zu finden wonach ich greifen und klettern konnte. Schließlich breitete ich meine Arme und Beine aus und verwendete die Wände selbst, um hochzugleiten. Ich fühlte mich wie ein Geheimagent, der in feindliches Gelände eindringt. Es fühlte sich doch recht cool an. Richtig cool, im Nachhinein betrachtet. Ich erreichte die Leitungen nach einer weiteren Kriechstrecke, und ging zurück denselben Weg wie ich gekommen war, mit dem Unterschied, dass ich jetzt ein schweres Kabelbündel hinter mir herzog.
Ich kam verschwitzt, zerkratzt und gequetscht wieder hervor. Ich bin jedoch stolz zu sagen, dass mich dieses Theater KEIN Blut gekostet hat. SIEG.
Kevin Yang
Violinist beim Shen Yun Performing Arts Orchestra
2. April 2011