Ein Doppel-Doppel in Kalifornien
Fast jeder freut sich auf das Wochenende – man kann sich dann entspannen und erholen von der Arbeitsroutine in der Woche. Für uns dagegen ist das Wochenende der anstrengendste Teil der Woche. Und von allen Wochenenden bei dieser Tour war das in Orange County die größte Herausforderung … bis jetzt.
Es begann alles an einem sonnigen Nachmittag, als wir gerade unsere letzte Aufführung in Vancouver, Kanada, hinter uns hatten. Es war alles gut gelaufen, auch das anschließende Packen lief in aller Ruhe ab. Wir freuten uns auf einen ganz besonderen Abend – ein Dinner auf einer privaten Yacht. Ich wuchtete meine schwere Reisetasche in den Bus und ließ mich mit einem Seufzer der Erleichterung in den Sitz fallen – froh, dass der harte Teil des Tages geschafft war!
Das Dinner auf der Yacht machte Spaß. Wir segelten durch die Bucht von Vancouver, während unser Reiseleiter, ein eher kleiner und übersprudelnder Typ, uns erklärte, was wir da alles sahen. Vom Wasser aus sahen die Lichter der Stadt sehr schön aus, auf Deck aber blies der Januar-Wind weniger freundlich. Bald waren wir zurück in unserem warmen Bus und machten es uns gemütlich, da drang auch schon der wohlbekannte Ton des Lautsprechers an unsere Ohren. Unser Ensemble-Manager gab den Ablauf für den kommenden Tag bekannt.
Nach der üblichen Liste der Zeiten und Aufgaben kam eine unerwartete Nachricht: Eine zusätzliche Aufführung. Offensichtlich war der Kartenverkauf in Kalifornien so gut, dass von der Leitung noch eine weitere Aufführung in Orange County angesetzt worden war. Im Klartext bedeutete das für uns, vier Auftritte in zwei Tagen.
Nun gut, auch wenn es ein solches Doppel-Doppel ist, so strapaziös kann es nicht sein, oder? In Taiwan wird das recht oft vorkommen. Außerdem machte ich mich erstmal um wichtigere Dinge Sorgen – wie die 27 Stunden totschlagen, die wir in den kommenden zwei Tagen auf dem Weg entlang der Westküste vor uns hatten?
Auf dem Weg nach Süden verlief alles normal, auch die drei ersten Aufführungen in Orange County. Also kommen wir schnell zur letzten Vorstellung. Sie fand am Sonntag um 16.30 Uhr statt. Der Vorhang fiel nach einer anstrengenden Aufführung, alle atmeten erleichtert auf. Draußen war ein wunderschöner, sonniger Tag, und ich dachte, „Vielleicht ist es noch so schön hell, wenn wir fertig sind mit Packen …“
Und auf einmal fiel mir ein, da ist doch noch was. Fast hätte ich die Abend-Vorstellung vergessen. Das ist, wie wenn man ein Weihnachtsgeschenk aufmacht und darin nur eine weitere Schachtel findet. Es blieb nicht mehr viel Zeit für die Vorbereitungen, ich schlang das Essen so schnell runter wie noch nie, das heißt, in vier Minuten das Essen holen und vertilgen. Ich weiß nur noch, dass ich als nächstes schon zum erneuten Aufwärmen auf der Bühne war.
Ich drehte mich, ich sprang, machte Überschläge und tat alles, was nötig war, um mich vorzubereiten. Dann setzte ich mich auf die Bühne und schaute zu, wie die anderen sich drehten und sprangen und Überschläge machten. Es war richtig schön, unsere Show in konzentrierter Form zu sehen.
Dann ging ich zurück in den Umkleideraum, steckte mir ein Stück Schokolade in den Mund – für Extra-Energie, und zog mein Kostüm für den ersten Tanz an. Schon wurde die Bühne weiß von den Wolken aus Trockeneis, und der Tiefe Klang des Gongs ging überall durch das Theater. Die Show hatte begonnen … noch einmal.
Dann folgten die zwei Stunden mit Tanzen und Kostüme-Wechseln. Das ist immer schön – ich freue mich, wenn ich höre, wie das Publikum klatscht und begeistert ist und lacht. Dann ist es die Sache wirklich wert.
Und dann fiel er Vorhang für diesen Tag zum letzten Mal, und wir klatschten uns gegenseitig ab. Und letztlich war das Wochenende doch nicht so hart, wie ich es mir vorgestellt hatte. Eigentlich war ich überrascht darüber, wie energiegeladen ich sogar bei der letzten Show war.
Dann wieder der Gedanke, wie könnte ich überhaupt während einer Aufführung keine Energie haben? Also, jetzt fühle ich mich weit besser vorbereitet auf die Doppel-Doppel-Wochenenden in Taiwan.
Vielleicht sollten wir sogar, wie einer unserer Moderatoren vorschlug, drei Aufführungen am Tag versuchen?
Cindy Liu
Erste Tänzerin
17. Februar 2013