Die chinesische Kultur zurück in ihr Heimatland bringen
“Unsere Show präsentiert authentische, traditionelle, chinesische Kultur. Leider können Sie eine Show wie diese nicht in China ansehen. Da Shen Yun seinen Sitz außerhalb von China hat, ist die Show in der Lage, diese Traditionen frei auf der Bühne zu präsentieren.”
Wenn unsere Moderatoren unserem Publikum diese Tatsachen enthüllen, kann ich nicht anders, als mich von dieser Ironie betrübt zu fühlen. Man sollte annehmen, dass ein Land zu besuchen die beste Art sei, um etwas über eine Kultur zu lernen. Wieso also sollte ein Vorzeigeprojekt der chinesischen Kultur von seinem Geburtsort verbannt sein?
Wie viele meiner Mit-Darsteller wuchs ich außerhalb Chinas auf mit den Werten und unter den Einflüssen der westlichen Gesellschaft. Ich hatte nur ein oberflächliches Verständnis von meiner eigenen Kultur. Natürlich war es nicht so, dass es gar keine chinesische Kultur zu erleben und erfahren gab – Australien ist bekannt für den Multikulturalismus und die asiatische Bevölkerung in meiner Gegend war nicht klein. Ich sprach zuhause Kantonesisch, ging an den Samstagen auf die chinesische Schule und ging meistens in chinesische Restaurants. Aber das war weit davon entfernt, in der Lage zu sein, mein eigenes Erbe wirklich wertschätzen zu können.
Ich hatte keine Ahnung, dass die chinesische Kultur als „halb-göttliche Kultur“ bekannt war. Ich wusste nichts über die konfuzianischen Werte Barmherzigkeit, Aufrichtigkeit, Anstand, Wissen und Integrität, welche die Verhaltensnormen der antiken chinesischen Gesellschaft waren. Ich wusste sehr wenig über die 5000 Jahre umspannende Geschichte Chinas – ich lernte in der Highschool lediglich etwas über die Qin-Dynastie (und diese Dynastie dauerte nur 15 Jahre an). Ich kannte kaum chinesische Sprichwörter, Geschichten oder Legenden (außer die „Reise in den Westen“), geschweige denn die Lektionen, die seit Generationen weitergegeben worden waren. Mit anderen Worten, ich wusste nicht viel darüber, Chinese zu sein. Ich war ein waschechter Australier und stolz darauf.
Aber ironischerweise entdeckte ich die chinesische Kultur nicht im Festland von China – ich fand sie in den Vereinigten Staaten, nachdem ich als Tänzer bei Shen Yun angefangen hatte.
Teil von Shen Yun zu sein, hat mir ermöglicht, meine eigene verlorene Kultur zu begreifen und wieder zu erleben. Shen Yun gibt mir auch Gelegenheit, diese Schönheit mit dem Rest der Welt zu teilen. Vielleicht ist die größte Entdeckung, die ich gemacht habe, dass traditionelle chinesische Werte zeitlos und universell sind. Dies ist der Grund, denke ich, wieso Zuschauer auf der ganzen Welt — unabhängig davon welcher Ethnie sie angehören, das Gefühl haben, dass diese Ideen bei ihnen einen Nachhall finden. Ich bin sehr froh, meine Wurzeln entdeckt zu haben und ich weiß, dass viele von uns hier dasselbe empfinden.
Daher war ich traurig, bis zu welchem Grad das Regime in China systematisch versucht hat, die glorreiche Geschichte auszulöschen und aus dem Geist der heutigen jungen Chinesen auszusperren.
Ich erinnere mich an einen Blog-Eintrag von Ophelia Wu, über ihren Highschool-Besuch in China. Eine schockierende Enthüllung darüber, wie das Erziehungssystem in China heute wirklich ist. Schüler und Studenten wissen nicht ihre eigene Kultur wertzuschätzen und werden stattdessen gezwungen, sie abzulehnen, während sie der Gehirnwäsche mit politischem Dogma unterzogen werden. Sie werden dazu gebracht zu glauben, dass die antike Gesellschaft rückständig war und dass die Kommunistische Partei „mächtig, glorreich und korrekt“ sei.
Der Glaube an das Göttliche ist ein integraler Teil der chinesischen Traditionen und doch werden Schüler zum Atheismus gezwungen. Das gesamte Erziehungssystem ist darauf ausgelegt, die Essenz des Chinesisch-Seins auszutreiben. Wieso möchte das chinesische kommunistische Regime solch eine prächtige, profunde Kultur auslöschen – eine, die die chinesischen Menschen definiert hat und die durch Shen Yuns Auftritte überall Anerkennung findet? Es ergibt einfach keinen Sinn.
Wenn ich darüber nachdenke, bin ich tatsächlich sehr glücklich, dass ich in Übersee geboren wurde, weg von dieser repressiven Umgebung. Doch fühle ich auch einen Sinn für Verantwortung. Ich möchte mit den jungen Menschen in China die Schönheit ihres eigenen Erbes teilen. Letzten Endes sind sie genau so wie ich und haben jedes Recht darauf, ihre eigene Kultur zu kennen.
Ich glaube fest daran, dass wir eines Tages die authentische, traditionelle, chinesische Kultur zurück in ihr Heimatland bringen können.
Gary Liu
Tänzer
22. Februar 2012