Verloren in Florenz´ magischem Büro
Ich gebe zu, ich bin ein „Speed“-Esser. Im Durchschnitt esse ich bei einem Tempo von 60 bis 65 Meilen pro Stunde, manchmal über 600 Meilen pro Stunde, wenn wir große Gewässer überqueren. Es ist eine von diesen Gewohnheiten, die man sich zulegt, wenn man fünf Monate im Jahr auf Tour ist. Doch jetzt in Europa, fand ich mehr Zeit, um gründlich meine Erfahrungen durch zu kauen. Als ich, an einem Apfel kauend, im Bus saß, unterhielt ich mich selbst damit, die verschiedenen Verkehrszeichen in fremden Sprachen zu entschlüsseln. Auf dem Weg zu unserem Theater, frisch vom Frühstück, nahm ich tiefe Atemzüge der nebeligen Morgenluft, welche offenbar so charakteristisch für die Toskana in dieser Jahreszeit ist.
Zwischen unseren Shows in Florenz hatten wir die Chance das Herz der Stadt zu erkunden. Auf meine kulturellen Kosten kam ich bei einem Besuch der Uffizien mit ein paar Freunden. Uffizien bedeutet „Büro“ auf italienisch und dies war der ehemalige Arbeitsplatz der mächtigen Medici-Familie, bevor es eines der berühmtesten Kunstwerke der europäischen Galerien wurde. Sie sagen, ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Es genügt zu sagen, wenn ich tausend Worte zu jedem Meisterwerk schreiben würde, das ich sehe, würden wir nie das Ende dieses Eingangs erreichen.
Es ist etwas unbeschreiblich Schönes ein Gemälde in natura zu sehen. Worte und Bilder können die Eigenschaften eines Werkes erfassen, aber nie seine Größe oder seine Seele erfassen. Viele Gemälde in den Uffizien waren enorm groß – leicht über eineinhalb Meter. Doch trotz ihres Umfangs war kein Platz verschwendet. Wie eine Szene auf der Bühne, hatte jeder Teil des Bildes seinen Platz und Sinn beim Erzählen seiner Geschichte. Ich staunte über die technische Kompetenz der Künstler. Majestätische Triptychen, mit Blattgold bedeckt, füllten, wie seltene Juwelen, den Raum mit ihrem Funkeln. Giotto's ausdrucksstarke Figuren hatten Gesichter, die vor Leben glühten, selbst inmitten von Ausdruck ihrer Trauer. Es gab eine Madonna von Raffael mit so weicher Haut, man wollte sie berühren, um fest zu stellen, ob sie echt war. Botticellis Geburt der Venus und Frühling waren beide so groß, sie nahmen ganze Wände ein und bildeten einen eindrucksvollen Anblick.
Ich liebe Kunst und ich muss zugeben, ich bevorzuge traditionellen Realismus gegenüber moderner Kunst, weil ich ihn besser verstehen kann. Vielleicht macht mich das altmodisch, aber ich finde die Aufdeckung Van Eycks komplizierter Symbole viel lohnender, als das Entwirren von Pollocks chaotischen Spritzern. Beim Blick auf ein gut ausgeführtes Gemälde, spüre ich eine sofortige Verbindung, da die Nachricht so klar ist, auch wenn der Gegenstand Jahrhunderte alt ist. Ich erinnere mich noch lebhaft an einen meiner Favoriten, obwohl ich mich an den Künstler nicht mehr erinnere. Es war ein großes rechteckiges Werk im Auftrag der Familie Medici und war mit leuchtend schillernden Farben gemalt. In der oberen linken Ecke, das Gesicht halb dem Betrachter zugewandt, war ein kleiner Engel in einem gelben Kleid. Er hatte goldene Locken und goldene Flügel, aber am besten von allen war sein Lächeln, so rein und süß, wie ein Tropfen goldener Honig.
Da meine Freunde und ich so viel Zeit in der Galerie verbrachten, verpassten wir beinahe die Zeit für Mittagessen. Zum Glück dauerte unsere Bestellung einer Pizza mit dünner Kruste nur zehn Minuten und ich nahm ein weiteres würdiges Muster italienischer Kunst in fünfzehn Minuten ein.
Jade Zhan
Gastautorin
7. März 2011