Warum ich nach Taiwan reiste
Die meisten Tänzer, die mit Shen Yun mindestens drei Jahre lang auf Tournee waren, sind in Taiwan gewesen. Das kommt daher, dass unsere Ensembles in der Regel im jährlichen Rhythmus zwischen den Touren in Nordamerika, Europa und Asien rotieren. So bestehen also gute Chancen, dass alle, die lange genug unterwegs waren, einen mindestens einmonatigen Aufenthalt in Taiwan genießen durften. Dort werden neun Shows pro Woche vor ausverkauften Theatern aufgeführt, Nachtmärkte besucht sowie seltsame und wunderbare Delikatessen geschlemmt. Davon habe ich gehört.
Sei es Schicksal oder reine Glückssache, jedenfalls war ich noch nie auf einer Tournee nach Taiwan, auch wenn dies mein siebtes Jahr bei Shen Yun ist. Immer, wenn die Zeit für mich gekommen war endlich nach Asien zu gehen, wurde ich einer anderen Tourgruppe zugeteilt. Oder meine Tourgruppe wurde woandershin geschickt.
Deshalb entschloss ich mich dieses Jahr in meinem Nachtournee-Urlaub Taiwan zu besuchen. Was mich am meisten dazu anspornte, waren aber nicht das tolle Essen oder die freundlichen Leute, von denen ich gehört hatte, sondern eine Frage, auf die ich schon eine Weile eine Antwort suchte: Wie könnte China aussehen, wenn es nicht unter kommunistischer Herrschaft wäre?
Als die Kommunistische Partei die Nationalistische Partei im chinesischen Bürgerkrieg kurz nach dem Zweiten Weltkrieg besiegte, floh die Nationalistische Partei auf die Insel Taiwan und gründete eine eigene Republik. Als sie flüchteten, nahmen sie viele chinesische Reliquien mit. Und es ist eine gute Sache, die sie taten, weil die Kommunisten kurz darauf auf dem Festland die Kulturrevolution begannen und irrsinnige Mengen chinesischer Artefakte und in der Tat auch die traditionelle chinesische Kultur selbst zerstörten.
Und so kam es, dass Taiwan einer der wenigen Orte ist, an dem heute authentische chinesische Kultur zu finden ist. Als Teil einer kulturell freien Gesellschaft konnten ethnische Chinesen in Taiwan viel mehr von ihren traditionellen Werten und Überzeugungen bewahren. Deshalb habe ich das Gefühl, dass Taiwan ein gutes Beispiel dafür ist, wie sich China entwickelt haben könnte, wenn es keinen Kommunismus geben würde. Sicher gab es noch andere Kräfte wie den japanischen Einfluss, die Modernisierung, Amerikanisierung und Globalisierung, aber gab keine Kraft, die versucht sein würde, die Kultur von innen heraus, von der Wurzel her, zu zerstören und sie durch etwas anderes zu ersetzen.
Und hier ist das, was ich während meines Taiwan-Besuchs entdeckte. Am Anfang dieses Videos sieht man ein riesiges Denkmal, auf dem steht: „天下為公“ (tian xià wèi gōng), was bedeutet: „Das Land sollte allen gehören.“ Dies ist ein sehr bedeutendes Merkmal von Taiwan. Dieses Video ist ein Blick auf dieses erstaunliche Land mit meinen Urlaubsaugen.
Sam Pu
Tänzer
14. Juli 2016