Ein Blick „in medias res“ (oder wie ein Tanz entsteht)
Es ist September! Als ich so im Kalender blättere, um Bilder von kühlen Temperaturen, gelben Blättern und noch gelberen Schulbussen anzuschauen, kommt mir ein Gedanke in den Sinn: Es bleiben kaum noch drei Monate bis zur ersten Show unserer Saison 2014.
Rein formal gesehen ist es zwar unsere „Freizeit"-Saison, aber tatsächlich ist es so, dass wir Tänzer so etwas gar nicht haben. Neben unserem täglichen Training sind da ständig neue Tänze zu lernen, Tänze zu wiederholen und zu perfektionieren. Und nicht zu vergessen, die Anproben von Kostümen, das Überprüfen von Kopfschmuck und Proben zusammen mit dem Orchester. Das ist die Zeit im Jahr, in der wir mittendrin sind in dem, was man unseren “ersten Entwurf“ nennen kann, jeder setzt alles ein für das Zustandekommen des vollen Programms.
Das Kreieren eines neuen Tanzes bedeutet schon eine ganze Menge. Ein Choreograf hat eine Idee, findet einen Komponisten und erschafft leibhaftige Poesie, die zusammen mit der Musik eine Einheit bildet. Dann probt eine Gruppe von Tänzern ein Stück zu einer MIDI-Aufnahme, während das Orchester die Musik einstudiert. Zur gleichen Zeit stellt unsere Kostümbildner-Abteilung in Handarbeit ein Set identischer Kostüme her, und unsere Projektionsspezialisten kreieren das dazu passende Bühnenbild.
Selten nimmt ein Tanz seinen Weg unverändert von der reinen Vorstellung bis zur Realität. Selbst wenn das der Fall ist, passen manchmal einzelne Teile nicht zu einander – vielleicht ist das Kostüm bei den Bewegungen im Wege, oder eine Geschichte muss deutlicher werden, oder der Musik fehlt es an Ausdruckskraft. Dadurch kommt es in jedem Fall zu einem Stopp, einer Klärung und Wiederholung seitens unserer Choreografen, Komponisten, Kostümbildner und/oder unseres Projektions-Teams.
Die Tänzer werden in Trab gehalten, indem Formationen wiederholt, neue Bewegungen in neueren Kombinationen eingebaut und Positionen aus einem Einfall heraus verändert werden. Es ist eine Situation, die leicht ins Chaos abgleiten könnte, wenn nicht jeder, der daran beteiligt ist, gut kooperieren würde. Wir nehmen das alles als einzelne Schritte, denn jeder Schritt – vorwärts und rückwärts – trägt zu weiterem Glanz für das Juwel eines Shen Yun–Tanzes bei. Und ich kann garantieren, dass die Show des nächsten Jahres sich immer von der vorherigen unterscheiden wird.
Und jetzt auf zu neuen Höhen!
Jade Zhan
Gastautorin
11. September 2013