Praktizieren wie Konfuzius
Kennen Sie die Geschichte, wie Konfuzius die chinesische Laute spielen lernt?
Eines Tages erhält Konfuzius ein neues Musikstück von seinem Lehrer. Er übt es immer wieder, bis er es mit geschlossenen Augen spielen kann. Dann kommt der Lehrer mit einem weiteren Stück, das er in Angriff nehmen soll. Konfuzius lehnt höflich ab und erklärt, dass er nur die Noten gelernt hat, aber nicht die musikalischen Ausdrücke erfasst. Der Lehrer versteht und lässt ihn an seinem Instrument zurück.
Mehrere Tage vergehen, währenddessen Konfuzius an der Dynamik, der Phrasierung und so weiter arbeitet. Der Lehrer kommt, um ihn wieder zu hören, und hält ihn für fortgeschritten genug, um weiterzumachen.
„Aber ich muss noch die Bedeutung hinter der Musik entdecken“, antwortet Konfuzius und geht zurück zum Üben.
Als der Lehrer das nächste Mal zurückkehrt, ist das Spiel von Konfuzius gefühlvoll durchdrungen. Dennoch stellt er es ein weiteres Mal zurück und erklärt, dass er noch das Verständnis für den Komponisten entwickeln möchte.
Tage später meldet sich der Lehrer wieder. Dieses Mal findet er Konfuzius nicht mehr fleißig an seinem Instrument zupfend, sondern in tiefer Kontemplation.
„Ich weiß jetzt, was für ein Mann dieses Stück komponiert hat“, sagt Konfuzius schließlich, „er hatte einen dunklen Teint und eine überragende Statur. In seinem Leben hatte er größte Erfolge … Ich wage zu sagen, es ist kein anderer als der edle König Wen?“ (Gründer der Zhou-Dynastie um 1.000 v. Chr.)
„Bemerkenswert“, ruft der Lehrer aus, „dieses Stück ist in der Tat von König Wen selbst!“
Im Geiste des Weisen
Am Sitz von Shen Yun arbeiten wir seit Juni an dem neuen Programm 2020. Nach monatelangen, pausenlosen Proben finde ich Konfuzius' Geschichte besonders inspirierend.
Ehrlich gesagt, als Tänzer ist es unmöglich, rund um die Uhr perfekt und munter zu sein. Es gibt Zeiten, in denen man sich zu sehr gedehnt, zu viel gestreckt und zu viel gesprungen ist und sich völlig leer im Kopf fühlt. Oder du bist mit dem falschen Bein aufgestanden und bekommst keine zwei Drehungen hin, ohne den Tanzboden zu küssen. In Momenten wie diesen die Techniken zu üben, indem man das zehntausendste Mal daran arbeitet, ist nicht gerade die lustigste Sache der Welt. Und eine Probe mehr, um jede Bewegung der Gruppe zu synchronisieren fühlt sich an, als würde man in ungewollten Stumpfsinn verfallen.
Aber wie Konfuzius seine Begeisterung und Hingabe bündelte! Das gab mir wirklich zu denken:
Wenn Kunst „ein Ausdruck oder eine Anwendung menschlicher kreativer Fähigkeiten und Phantasie ist“ – laut Wörterbuch – dann sollte das Üben um sich zu verbessern, eine höchst erleuchtende Erfahrung sein. Konfuzius konnte nicht ruhen, bis er ein Lied technisch beherrschte, jede Nuance entschlüsselt und über die Kunstfertigkeit meditiert hatte, und damit praktisch ganz den Geist des Komponisten erfassen konnte.
Zwischen dem einfachen Spielen der Noten oder dem simplen Absolvieren der Bewegungen und der tatsächlichen Verkörperung der Seele eines Stücks liegen Welten – es macht einen enormen Unterschied für den Künstler, aber auch für die unzähligen Zuhörer oder Zuschauer, die schließlich Zeuge seines Auftritts werden. Aus dieser Perspektive könnte es auf Schritt und Tritt zu Entdeckungen kommen.
Bei der nächsten Tanzprobe – für welchen Tanz kann ich noch nicht sagen – werde ich mich an Konfuzius erinnern und versuchen, mich vorbehaltlos meiner Rolle hinzugeben. Wann immer wir die Kostüme anziehen, um die … Sie werden es bald herausfinden wen … zu tanzen, werde ich die Gesinnung und den Charme der Tänzerinnen dieser prächtigen Epoche annehmen. Und wie die Musik klingt – noch ist es ein Geheimnis – so werde ich danach streben, mit jeder Bewegung für meine – noch nicht genannte Rolle – einen wahrhaften Unterschied zu machen.
Bis zum Beginn der Shen Yun Tournee 2020 sind es noch etwa drei Wochen. In der Zwischenzeit werde ich die uns verbleibende Zeit schätzen und wie Konfuzius üben. Möge jede Anstrengung Einsicht und Belohnung bringen.
Betty Wang
Gastautorin