Eine Udumbara-Überraschung
Auf Chinesisch ist die Feige bekannt unter dem Namen wúhuāguǒ (無花果), oder „Frucht ohne Blüte“. Aber nicht alle Feigen scheinen mit diesem Namen einverstanden zu sein. Ich habe eine Feige, und sie hat eine Blüte – eine Udumbara-Blume.
Die seltene Udumbara wurde zum ersten Mal von Buddha Shakyamuni, dem Gründer des Buddhismus, erwähnt. Er prophezeite, dass die geheimnisvolle Blume in 3000 Jahren erscheinen würde, und dass ihr Erscheinen bedeuten würde, dass der Heilige König des Drehenden Rades angekommen ist.
Wie sieht diese Blume nun genau aus? Im Grunde genommen ist es eine kleine weiße Blüte mit Blütenblättern auf einem langen Stiel, die Udumbara ist einfach, aber wunderschön. Besonders bemerkenswert ist, die Udumbara ist klein. Sie ist winzig. Von der Blüte bis zum Stiel misst die Blume durchschnittlich 4 mm (ja, Millimeter). In den letzten Jahren wurden diese Blumen überall auf der Welt auf vielen verschiedenen Oberflächen gesichtet – das ging von Buddha-Statuen bis zu Säulen aus Holz, über Windmühlen, Gemüse und, zuletzt, Feigen.
So überrascht ich auch war, eine Udumbara-Blume auf meiner Feige zu entdecken, so muss ich doch gestehen, dass ich es auch ebenso geheimnisvoll fand, wie die Blume es fertiggebracht hatte, heil zu bleiben. Meine Zimmernachbarin und ich sind nicht eben sehr sanft im Umgang mit Früchten. Als wir in Melbourne ankamen, gingen wir beide schnurstracks zu dem berühmten Queen Victoria’s Market, von den Einheimischen liebevoll „Queen Vic’s“ genannt. Dort zogen wir das große Los und bekamen eine ganze Ladung wunderbarer Feigen.
So wie jeder, der eine Schachtel von 28 Feigen zum Schnäppchenpreis erhält, waren wir aufgeregt, wir halbierten und aßen sie, wir stapelten sie und jonglierten vor dem geheimnisvollen Fund mit den armen Feigen herum. Wie eine einzige, winzige Udumbara-Blume unser raues Spiel überlebte, das kann ich mir nur vorstellen. Aber als ich sie sah, in all ihrer berühmten winzigen Schönheit, konnte ich nur das Eine denken (anders als „Du liebe Güte, ich habe schon acht Feigen gegessen“): „Das möchte ich mit der ganzen Welt teilen.“
Reizvolle Legenden und epische Mythen kommen manchmal nicht in großer Aufmachung daher; man kann sie leicht verpassen. Manchmal haben sie nur eine Größe von 4 mm, es sind die kleinen Dinge, die die größte Bedeutung enthalten.
P.S.: Durch Zufall oder durch Vorsehung haben wir im diesjährigen Programm einen Tanz über die Udumbara-Blume. Unser Moderator sagt mir, dass es ihm in den letzten Tagen, nachdem ich ihm von meiner Entdeckung erzählt habe, jedes Mal schwerfällt, nicht an Feigen zu denken, wenn er dieses Stück ansagt. Ich selbst fühle jedes Mal erneut eine Art Verzauberung, wenn ich „Die geheimnisvolle Udumbara“ tanze.
Michelle Wu
Contributing writer
1. März 2016