Vom Orchestergraben auf die Bühne und zum Blog – Unsere erste Symphonieorchester-Tournee
Szene: Einer der vielen Rastplätze auf der endlosen Busfahrt von New York nach Texas. Ein Passant spricht mit einem der vielen Menschen in Anzügen, die in den Gängen anstehen, um sich mit Chips, Nüssen und kalten Getränken zu versorgen …
Passant: „Hallo! Sie sind alle so schön gekleidet! Woher kommen Sie?“
Anzugträger: „Oh, hallo! Wir sind mit Shen Yun Performing Arts aus New York unterwegs und führen klassischen chinesischen Tanz in der ganzen Welt auf.“
Passant: „Oh, wow! Und wohin fahren Sie jetzt?“
Anzugträger: „Nach Texas. Also, nur um das einmal zu klären – habe ich schon erwähnt, dass wir dieses Mal das Shen Yun Symphonieorchester sind?“
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Das ist richtig, Leute. Vor etwas mehr als einem Monat begann das Shen Yun Symphonieorchester seine erste Tournee in den Vereinigten Staaten. Nach einem erfolgreichen Debüt in der Carnegie Hall im vergangenen Jahr, beschloss Shen Yun das Orchester zu erweitern und in sieben US-Städten aufzutreten. Die diesjährige Konzerttournee begann in der Kennedy Center Concert Hall in Washington, DC, und endete in der Davies Symphony Hall in San Francisco.
Es war eine tolle Erfahrung. Aber, um ehrlich zu sein, als wir im Sommer wieder mit den Proben begannen, löste die Aussicht als Symphonieorchester auf Tournee zu gehen, bei uns Musikern sowohl Begeisterung als auch Besorgnis aus.
Auf der einen Seite ist es für uns Musiker sicherlich schön im Mittelpunkt zu stehen. Es ist nicht nötig sich den Kopf zu zerbrechen, ob unsere musikalischen Rhythmen und Beckenschläge im Orchestergraben mit den perfekt wirbelnden Röcken oder fliegenden Taschentüchern auf der Bühne oben zusammenpassen. Wir müssen auch nicht die von Trockeneis bedeckten Notenblätter auswendig lernen, das von der Bühne in den Graben strömt, oder warten, bis der Vorhang fällt, bevor das letzte Fortissimo endet. Dieses Mal geht es einzig und allein um die Musik selbst.
Auf der anderen Seite gibt es das Problem der Zeit. Jedes Jahr produziert Shen Yun ein völlig neues Programm und tourt damit um die ganze Welt. Es dauert fast ein halbes Jahr bis zum Ende der Weltreise. Also mussten wir in diesem Jahr irgendwie auch noch Symphonieproben zusätzlich zu den Proben für ein vollständiges Repertoire von Stücken für die Shen Yun-Spielzeit 2014 durchführen.
Überraschenderweise kann ich sagen, dass es zwar nie leicht, aber auch nie zu anstrengend war. Stattdessen reiste ich im Kopf ständig durch Zeit und Raum, von Beethovens Grübeleien zu den überglücklichen Volksweisen auf den chinesischen Reisfeldern …
Und es scheint, als würde das Publikum unseres Symphonieorchesters – von DC bis San Francisco – mit uns zusammen reisen. Nicht wörtlich, natürlich. Was ich meine, ist, dass es sich uns bei jedem Konzert auf dieser magischen Reise anschloss. Jedes Konzert war eine Reise durch die verschiedenen Regionen und Zeiten mit so unterschiedlichen Stilrichtungen wie St. Petersburg im 19. Jahrhundert und Chang'an im 8. Jahrhundert. Die Musik entführte die Zuhörer aus des Kaisers Traum in einem Tang-Dynastie-Palast in den glitzernden Ballsaal einer Tschaikowski-Oper.
Wenn wir Stück für Stück aufführten, erforschten wir dabei auch den Charakter jedes einzelnen. Am meisten hat mich das Ende der „Schöpfung“ inspiriert. Dieses Stück zu spielen erfordert enorme Anstrengungen, denn es gibt darin lange Passagen nachhaltiger forte fortissimos und aufeinanderfolgender fortepianos. Die scheinbar einfachen Melodien bringen tatsächlich immense Leidenschaft mit sich, denn wir versuchen uns vorzustellen, was es für die Gottheiten bedeutete, unsere Welt zu erschaffen.
Und von New York bis Los Angeles war jedes Konzert berauschend. Unsere größte Freude während der Aufführung war, dass wir unser Publikum von der Bühne aus direkt sehen konnten. Ich sah erwachsene Männer, die sich nach dem Lied der Sopranistin Haolan Geng die Tränen aus den Augen wischten und ich werde nie vergessen, wie nach dem Finale ein Mann, der vorne in der Mitte saß, von seinem Sitz hochsprang, applaudierte und alle um ihn herum aufforderte, schnell mitzuklatschen.
Jetzt, da wir wieder in New York sind, gehen unsere Proben mit den Tänzern weiter. Wir kehren dann in den Orchestergraben zurück, während auf der Bühne über uns donnernde Trommeln und bunte herumwirbelnde Röcke bewundert werden. Es wird eine weitere tolle Vorstellung und eine spannende neue Spielzeit werden. Ich freue mich darauf, dass wir so etwas auf unserer Welttournee mit Ihnen zusammen erleben dürfen. Und wenn Sie diese Person sind, die ich an der Raststätte traf, dann kommen Sie doch bitte in der Pause vorbei, um hallo zu sagen!
Chani Tu
Bratschistin
8. November 2013