Aus dem Koffer leben – Tipps einer Shen Yun-Tänzerin
Jedes Jahr, wenn es draußen wieder frisch wird, die Bäume ihr Laub abgeworfen haben und die Erde sich darauf einstellt, monatelang zu schlummern, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Shen Yun in den Startlöchern steht, um sich für eine neue Spielzeit auf den Weg zu machen. Dann begebe ich mich ins Lager unseres Wohnheims und grabe meinen Tour-Reisekoffer aus.
Er ist blau gesprenkelt, mit Ecken, die von einem Leben als Globetrotter zeugen. Mein Reisekoffer, neun Jahre alt und gut in Schuss, ist das einzig Konstante in meiner Shen Yun-Karriere. Ich möchte ihn nicht ersetzen, obwohl ich diese Möglichkeit Jahr für Jahr hatte. Allein sein Anblick weckt in mir eine aufregende Mischung aus Vorfreude, Nostalgie, Verantwortlichkeit und einen Hinweis auf bevorstehende Strapazen. Warum Strapazen? Weil das Packen für die Tour bedeutet, dass ich mein ganzes Leben für die nächsten sechs Monate an diesen Koffer mit seinen 33 x 56 Zentimetern werde anpassen müssen.
Das Verhältnis von Tourtagen zur Koffergröße überrascht viele Flughafenangestellte und mitreisende Fluggäste. „Wie schafft ihr das nur?“ haben uns viele gefragt. Wundern Sie sich auch?
Na gut, dann hier dazu einige Tipps:
1. Reduzieren Sie Ihre Sachen auf das wirklich Wichtige. Wenn Sie es „gebrauchen könnten“, dann stehen die Chancen gut, dass Sie es nicht brauchen werden. Legen Sie jeden einzelnen Gegenstand auf die Goldwaage. Geht es auch ohne? Oft kann man etwas, das man „gebrauchen könnte“, unterwegs erhalten. Das gibt einem die glückliche Gelegenheit, Angebote an den neuen Zielorten zu erkunden.
Eine Ausnahme sind medizinische Sachen oder alles, ohne das man im Ausland nicht auskommt; wie zum Beispiel Kontaktlinsen.
2. Beschränken Sie Ihre Wertsachen. Die Sicherheit sollte bei jedem Reisenden oberste Priorität haben. Bei uns steht sie ganz oben. Wenn bei einer persönlichen Irrfahrt Hunderterlei falsch laufen kann, dann stelle man sich einmal die möglichen Missgeschicke vor, die bei der Reise einer großen Gruppe passieren können.
Wie Sie vielleicht wissen, versucht das chinesische kommunistische Regime auch nach zehn Jahren noch, unsere Aufführungen zu stoppen und uns daran zu hindern, all die Aspekte der traditionellen chinesischen Kultur zu entfalten. Sie haben uns nicht nur verboten, in China aufzutreten, sondern ihre Botschaften und Konsulate haben hinterrücks versucht, das Auftreten von Shen Yun auf der internationalen Bühne zu verhindern. Da jedes Detail, das verloren geht, unsere gesamte Produktion in Mitleidenschaft ziehen könnte, achten wir auf die Sicherheit – darin eingeschlossen all unser Personal, unsere Bühnenausstattung, die Instrumente, Dokumente, persönlichen Wertgegenstände und selbst unsere Fahrzeuge – bei jedem Schritt auf der Tour.
Diese Sicherheitsmaßstäbe werden für Sie sicherlich nicht nötig sein. Jedoch überlegen Sie bei jedem Wertgegenstand: Wie kann er untergebracht werden? In einem Safe, in einem Gepäck-Schließfach oder in versteckten Taschen? Würden Sie das Risiko eingehen, ihn zu verlieren? Ist er einfach zu ersetzen?
Am besten ist es, nichts Unersetzbares mitzunehmen. Die Rückkehr wird umso angenehmer sein, wenn Sie es dann um sich haben.
3. Seien Sie kunstvoll beim Packen. Es ist sehr ähnlich wie beim Tanz, die Flexibilität ist das A und O. Weiche Kulturbeutel brauchen weniger Platz. Wenn man unbedingt eckige, harte Sachen mitnehmen muss, dann jede Lücke nutzen. Daher verschlingen Organizer Platz und können eigentlich mehr schaden als nutzen. Stattdessen lieber kleine, weiche Beutel wählen und die Sachen wie ein Tetris-Spiel zusammenlegen.
Manch einer steckt seine Kleider in Vakuum-Beutel. Diese Beutel brauchen wenig Platz, aber sie passen nicht so gut zu unserem Zeitplan. Im Schnitt sind wir alle drei Tage in einem anderen Hotel, darin nicht eingeschlossen all diese Zwischenstopps während nächtlicher Marathon-Fahrten. Wenn man so viel aus- und wieder einpackt, ist die Luft bald raus.
4. Die Kleidungsstücke rollen. Die Kleidungsstücke der Länge nach zur Hälfte falten oder dritteln, rollen und wie ein Tangram arrangieren. Für uns hat sich das als die kompakteste und praktischste Methode herausgestellt.
5. Zusammen reisen? Mit Sachen wie einer Kamera oder einem Ladegerät für Zahnbürsten kann man das gut machen. Es abwechselnd im Gepäck mitnehmen.
6. Freier Platz ist Ihr Freund. Mit je weniger man anfängt, desto mehr kann man sich zulegen. Zu Beginn unserer Reise nehme ich für mich selbst einige kleine Belohnungen mit (z.B. Badekugeln). Das sind Dinge, mit denen ich mich außerhalb der Spielzeit nicht verwöhnen würde. Aber im Verlauf der Tour habe ich Spaß daran, zu sehen, wie meine Sachen weniger werden … und dann nach und nach mehr, wenn ich neue Erinnerungsstücke und Souvenirs anschaffe.
Der einheitliche Shen Yun-Tour-Reisekoffer hat eine Erweiterung, mit der man die Möglichkeit hat, ihn von 18 Zentimetern auf bis zu fast 30 Zentimetern Tiefe zu vergrößern. Jedes Jahr gehen wir mit einem flachen Koffer auf Reisen und kommen zurück mit einem, der sich nur so wölbt. Wie auch immer, ich empfehle, das bis zum letzten Teil der Reise nicht auszunutzen.
Arbeiten Sie mit dem Koffer, denn es werden harte Zeiten kommen, durch die man mit einander durch muss. Da heißt es, seine Gewohnheiten anpassen, das wird sich immer wieder auszahlen. Wenn es unterwegs schwieriger wird, den Reißverschluss zuzuziehen, wünschen wir uns im Scherz eine Reisetasche à la Mary Poppins. Aber ich erzähle mal ein Geheimnis: In jeder Zwischensaison sehne ich mich danach, wieder aus dem Koffer zu leben. Das Gefühl, nicht viel zu besitzen oder zu brauchen, ist befreiend und eine Belohnung – ein Gefühl, das hoffentlich jeder einmal erfahren kann, ob man nun auf Reisen geht oder nicht.
Viel Spaß beim Packen!
Stephanie Guo
Tänzerin
29. November 2016