Feature-Interview: Erste Tänzerin Cindy Liu

In Peking geboren und jetzt in Toronto zu Hause, fing Cindy Liu zu tanzen an, als sie sieben Jahre alt war; mit elf trat sie öffentlich auf. Heute ist sie Erste Tänzerin bei der Shen Yun Touring Company und bereitete sich für eine Show im Lincoln Center vor, als wir sie trafen.
Frage: Cindy, Sie sind mit Shen Yun Performing Arts gereist, seitdem das erste Ensemble 2006 gegründet wurde. Wie haben Sie die Veränderungen des Ensembles wahrgenommen?
CL.: Im Laufe der letzten sechs Jahre war ich Zeugin des phänomenalen Erfolges von Shen Yun und dessen Expansion. Auf unserer ersten Welttournee im Jahr 2007 hatten wir nur eine Tanztruppe mit einem Orchester. Wir waren nicht mehr als 100 Leute, und mussten zwischen vier Kontinenten reisen - Nordamerika, Europa, Australien und Asien. Jetzt haben wir drei gleich große Gruppen und Orchester, und ungefähr 300 Künstler, die jedes Jahr auf Tour um die Welt gehen.
Ich habe auch eine persönliche Entwicklung vom Neuling zur Ersten Tänzerin durchgemacht. In diesen sechs Jahren haben sich viele Dinge verändert, aber ich liebe die Company wie am ersten Tag. Ich bin wirklich stolz, in einer der größten und erfolgreichsten Tanztruppen der Welt zu sein.
Oft werde ich gefragt, ob das Leben in der Company nicht anstrengend ist. Natürlich ist es anstrengend, weil sowohl das Tanzen als auch das Reisen ermüdend ist. Aber es ist gleichzeitig auch sehr erfüllend. Jedes Mal, wenn ich das Publikum mit seinen glänzenden Augen, seinen freudigen Gesichtsausdrücken und seinem strahlenden Lächeln sehe, das uns stehende Ovationen gibt, spüre ich ein überwältigendes Gefühl der Heiterkeit und Befriedigung in meinem Herzen. Jedes Mal, wenn ich mit Shen Yun tanze, finde ich, dass ich etwas Wertvolles getan habe.
Q: Jedes Jahr produziert Shen Yun eine völlig neue Show, und Sie sind in vielen der herrlichen Tänze aufgetreten. Wo kommt die Inspiration für alle diese Tänze her?
CL.: Aus 5.000 Jahren chinesischer Kultur. Diese 5.000 Jahre haben unzählige Legenden, Dramen, Traditionen, literarische Klassiker, Reliquien und Kunstwerke hinterlassen. So bietet die chinesische Kultur eine unerschöpfliche Quelle für unsere Show an.
Es sind nicht nur die chinesischen Geschichten das Quellmaterial, sondern auch viele der alten Werte. Zum Beispiel tragen klassische Legenden wie „Die Loyalität des Yue Fei“ oder „Mulan“, die wir auf der Bühne aufgeführt haben, eine tiefere Botschaft in sich. In „Die Loyalität des Yue Fei“ ist es Treue und Rechtschaffenheit; in „Mulan“ Wohlwollen und Respekt gegenüber den Eltern.
Unsere Mission ist, die Schönheit von 5.000 Jahren der chinesischen Zivilisation wiederzubeleben. Also haben wir die höchste Voraussetzung für unsere Tänze. Jeder einzelne Tanz wird entworfen, um das Ideal der reinen Schönheit und des reinen Mitfühlens zu zeigen.
Q: Wie arbeiten Sie, um dieses Ideal der "reinen Schönheit und des reinen Mitfühlens" auf der Bühne zu erreichen?
CL.: Reine Schönheit und reines Mitfühlen müssen aus dem Herzen kommen. Ich glaube, dass Schönheit eine Reflektion des Geistes ist. Im Klassischen Chinesischen Tanz sagen wir, dass jede Bewegung aus deiner inneren Welt und deinen wesentlichen Gedanken entsteht. Diese Gedanken sind direkt mit deinen Sitten, dem Wertesystem, und der allgemeinen Gemütsverfassung verbunden. Reine Schönheit und reines Mitfühlen können nur durch einen schönen Geist und edlen Charakter erreicht werden.
Q: Wie ist Ihr Alltag bei Shen Yun?
CL.: Wir haben jeden Tag Tanztraining und Proben. Und wir versuchen, Vollkommenheit in jedem Bereich zu erreichen - ob in der Ausbildung im Klassischen Chinesischen Tanz, den Tanztechniken, Drehtechniken oder den Volkstänzen.
Wenn wir nicht trainieren oder proben, lese ich gern über chinesische Geschichte. Es gibt so viel, dass man all das nie komplett durcharbeiten kann. Das Lesen hilft, mein Verständnis der traditionellen chinesischen Kultur zu erweitern.
Ich liebe chinesische Gedichte, besonders Gedichte von Li Bai, er war als "Der Unsterbliche Dichter“ bekannt. Gedichte inspirieren sogar meinen Tanz. In dem Tanz, „Schwebende Seide“, verwendete ich einen Vers aus einem Gedicht von Wang Bo, das während der Tang-Dynastie geschrieben wurde, um das richtige Gefühl zu finden:
„Der Herbstfluss teilt einen landschaftlichen Farbton mit dem weiten Himmel, Das Abendglühen bildet eine Parallele mit einem fliegenden Vogel.“
Q: Sowohl 2009 als auch 2010 gewannen Sie die Goldmedaille im Internationalen Klassischen Chinesischen Tanzwettbewerb von NTD. Es gab keinen Wettbewerb im letzten Jahr, aber es gibt einen in diesem Sommer, und wir hörten, dass Sie mitmachen werden. Ist das etwas, worauf Sie sich freuen?
CL.: Tanzwettbewerbe sind immer herausfordernd. Die Teilnahme verlangt viel Vorbereitung. Zuerst muss man ein Thema wählen,eine interessante Choreographie, gute Musik und ein passendes Kostüm finden. Dann muss man üben, üben, üben. Es ist ein Prozess, voranzukommen und bis zum Ende Fortschritte zu machen, bis das Endprodukt fertig ist - der Schlusstanz im Wettbewerb.
Der Wettbewerb kann sehr anstrengend sein, aber er treibt mich beim Tanzen voran. Ich kann sehr viel lernen, entweder durch mein intensives Üben oder indem ich meine Mitbewerber beobachte.
Q: In diesen Wettbewerben haben Sie sich in den schwierigen klassischen chinesischen Tanztechniken hervorgetan. Wie üben Sie diese?
CL.: Klassische chinesische Tanztechniken sind sehr komplex. Es gibt viele Drehungen, Salti, Sprünge und Drehtechniken. Viele der akrobatischen Salti, die wir in der Gymnastik sehen, sind eigentlich aus dem Klassischen Chinesischen Tanz entstanden. Diese Techniken verlangen enorme Präzision und Koordination.

Aber gute Techniken werden nicht allein durch bloße Übung erreicht. Sie müssen an die Winkel, Richtungen und Bewegungsabläufe denken, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Manchmal verwende ich sogar mathematische und physische Axiome, um meine Techniken zu verbessern. Zum Beispiel, als ich meine Sprünge übte, entdeckte ich, dass für jede Sprungart der beste Absprungwinkel, um die maximale horizontale Entfernung zu erreichen, tatsächlich ein 45-Grad-Winkel ist. Also, wenn ich hochspringe, versuche ich, in genau diesem Winkel aufzusteigen.
Natürlich fordert das Tanzen viel mehr, als gute Techniken. Außer ein Athlet zu sein, gibt es die Kunst. Das Tanzen verlangt Form (oder shen fa), Ausdruck, Ertragen und Gefühle – besonders im Klassischen Chinesischen Tanz, der so ausdrucksvoll ist. Diese Elemente sind noch schwerer zu vervollkommnen als Techniken. Es gibt keine genaue Methode oder Lösung für den künstlerischen Ausdruck, und man kann es nicht in Winkeln messen. Jede Tänzerin hat ihren eigenen individuellen Ausdruck, und jede Tänzerin muss ihm allein den letzten Schliff geben.
Q: Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft?
CL.: Ich hoffe, dass wir eines Tages in China auftreten können. China ist "Das Himmlische Reich", das Reich der Mitte, und mein ursprüngliches Heimatland. Ich würde es liebend gerne sehen, dass Shen Yun zum Ort seines kulturellen Ursprungs zurückkehrt.
18. April 2012